Innenstadtpolitik, Einzelhandel und soziale AusgrenzungInnenstadt: Kulturzentrum oder "Einzelhandelsparadies" 2016:
"Interessensgemeinschaft Jacobiviertel" gegen
Betrunkene > Kommunale
Repressionsstrategie |
Die "Interessengemeinschaft Jacobiviertel" hatte sich am 13.12.2016 mit einem Brief an den Oberbürgermeister, die Ratsfraktionen und die Öffentlichkeit gewandt. In diesem Brief wird u.a. eine Beschwerde darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Innenstadt durch öffentlichen Alkoholkonsum und durch eine „Dönermeile“ in der Weender verwahrlose. Zitate
Die
Wohnsituation in der Innenstadt dürfte einige der Unterzeichner*innen
jedoch kaum interessieren, da sie in ruhigen Gegenden wohnen und nicht
in der Innenstadt. Die meisten Mitglieder der Interessensgemeinschaft
wollen lediglich Umsatz sichern. Dabei sprechen sie von "drastisch
reduzieren" ohne sich genauer zu überlegen was mit den Menschen
passieren soll, die sie als Problemfälle ansehen und die aus der
Innenstadt verschwinden sollen.Gerade jene Mitglieder der Jacobi-Truppe,
die teure Geschäfte betreiben befürchten, dass vornehme Kundschaft
nicht in ihr Geschäft kommt, wenn die Umgebung nicht total schnieke
ist. Indem die Autor*innen des Briefes auf die Äußerungen des
Handesverbandsvertreter Grosse verweisen (siehe
Artikel unten), machen sie klar, gegen welche Menschen sich ihre Worte
richten. Die Forderung, die Innenstadt von „angetrunkenen Menschen
mit abschreckender Wirkung“ „drastisch zu reduzieren“ zielt
nicht auf die angetrunkenen Menschen, die aus der anerkannten Gastronomie
stolpern – sonst wäre es schwer zu verstehen, warum der Inhaber der Cafe-Bar
Schröder den Brief mit unterschrieben hat. Auch der öffentliche Alkoholausschank
auf der Procity-Party „Nacht der Kultur“ oder beim Gänselieselfest
wird von den Einzelhandelsvertreter*innen eher als Attraktivitätssteigerung
der Innenstadt angesehen. Auch Angetrunkene bei Doktorfeiern am Gänseliesel,
beim Schützenfest oder besoffene Burschenschaftler sind nicht die
Leute, die von der Jacobitruppe als Problem für das Image der Innenstadt
angesehen werden. Die
befürchtete „Verwahrlosung“ sieht die Jacobi-Truppe nicht nur im Alkoholkonsum,
sondern auch in Dönerimbissen. Sie schreibt: „Das beste Beispiel ist
die nördliche Weender Straße, im Volksmund mittlerweile als „Dönermeile“
bekannt. Die Ansammlung von Kiosken und Imbissen macht die Straße unattraktiv
und führt zu einer Verwahrlosung.“ Unterzeichnet wurde der Brief von folgenden Personen als Mitgliedern der Interessensgemeinschaft Jacobiviertel: J.
Wortmann, Kulturbüro Göttingen J.
Schröder, Schröders (Kneipe in der Jüdenstraße) |
2010:Cron&Lanz-Geschäftsführerin: Bettler wie Ungeziefer Der Vorfall, dass angeblich Bettler als "Ungeziefer" bezeichnet wurden löst zu Recht Empörung aus. Solche Äußerungen weisen auf eine systematische Bekämpfung nicht-angepasster Menschen hin, die zum Schutze der reibungslosen Erlebniswelt von Konsumzonen erfolgt. Mehrere Zuschriften an Goest bezogen sich auf einem Artikel des Göttinger Tageblattes vom 20.4.10. Dort stand zu lesen, Frau Grummes-Salamon Geschäftsführerin des Café Cron und Lanz habe gesagt: "Es läuft viel Dreck rum in der Göttinger Innenstadt." Probleme würden vor allem "die vielen Bettler" bereiten. Einige seien friedlich, andere "sehr dreist" und "wie Ungeziefer". Zunächst haben wir per
Mail bei Frau Grummes-Salamon mit folgendem Text angefragt: Frau Grummes-Salamon hat uns daraufhin eine Antwort geschickt, für deren Veröffentlichung wir sie zwecks wörtlichen Zitierens um Genehmigung gebeten haben. Leider haben wir bisher keine Antwort mehr erhalten. Zusammenfassend dürfen wir jedoch berichten, dass sie in bezug auf den Begriff "Ungeziefer" behauptet, sie habe das so nicht gesagt und es handele sich im Göttinger Tageblatt um eine teilweise völlig falsche Darstellung dessen, was sie in einem telefonischen Interview gesagt habe.
Vorher waren bereits folgende Pressemitteilungen bei uns in der Redaktion eingegangen: Stellungnahme (Auszüge)
GöLinke Ratsfraktion 20.4.2010 Stellungnahme Ratsfraktion Bündnis 90/DieGrünen 20.4.2010 "Schräge Töne bei
Cron & Lanz. Wir hofften eigentlich, die Zeiten als sozial benachteiligte
Menschen und Randgruppen öffentlich als "Dreck" und "Ungeziefer"
bezeichnet wurden, wären in Göttingen ein für allemal vorbei.
Die Wortwahl von Frau Grummes-Salamon grenzt an Volksverhetzung und erinnert
in erschreckender Weise an die Rhetorik im Nazideutschland. Mit diesen
scharfen Worten kommentiert die kulturpolitische Sprecherin der Ratsfraktion
Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Dagmar Sakowsky die verbalen Entgleisungen
der Inhaberin der Göttinger Traditionskonditorei Cron & Lanz,
zitiert in dem Artikel "Die Menschen können sich einfach nicht benehmen"
im Göttinger Tageblatt vom 20.4.2010. Ausschnitt: ...Derartige
Unverschämtheiten würden definitiv zunehmen sagt Grummes-Salomon.
"Es läuft viel Dreck rum in der Göttinger Innenstadt". Probleme
würden vor allem "die vielen Bettler" bereiten. Einige seien friedlich,
andere "sehr dreist" und "wie Ungeziefer"... 2010: "Anlieger" beansprucht öffentlichen Raum vor Cron&Lanz Die Cron&Lanz-Geschäftsführung möchte wohl auch die öffentliche Fläche vor dem Geschäft gerne nach ihrer speziellen Vorstellung von Sauberkeit und Ordnung aussehen lassen. Vor Cron&Lanz stehen wie überall in der Weender Laternenpfähle. Diese Laternenpfähle gehören weder der Stadt noch Cron&Lanz sondern damals E-On. Im Februar 2010 waren an diesen Laternenpfählen vor Cron&Lanz nun Schilder angebracht worden, die dazu auffordern, keine Fahrräder abzustellen und eine kostenpflichtige Entfernung androhen. Unterschrieben mit "die Anlieger". Weder gehört diese Fläche zu Cron&Lanz, noch zahlt das Geschäft im Februar für die Aussennutzung Gebühren und hat also absolut nichts dergleichen zu fordern. Die Weender Straße gehört allen und es handelte sich damit um eine dreiste Drohung von "Anliegern" gegen RadfahrerInnen. Siehe Bericht
1998 Apell am Aktionstag "Die Stadt gehört allen" "Leute mit Geld für Konsum finden bei Handel und Gastronomie ihr Angebot; Leute ohne Geld erscheinen hin und wieder als Störfaktoren, weil auch sie Raum in der Öffentlichkeit beanspruchen. Um mit Konflikten umzugehen, die entstehen, wenn die Lebenswirklichkeit von Armen oder anders auffälligen mit der Konsumwelt zusammentreffen, muß es andere Alternativen geben, als Polizei oder private Sicherheitsdienste. Wenn Behörden, Geschäftsleute und Initiativen und Bürger zusammenwirken, müßte es gelingen, sie zu finden und zu entwickeln. Die Stadt gehört allen! Deshalb wünschen wir uns von den Stadtplanern und Lokalpolitikern, besondere Anstrengungen zu unternehmen, Non-Profit-Angebote in der Stadt zu initiieren und zu fördern! Siehe auch goest-Seite Obdachlose
Ausgrenzung und Diskriminierung in der Stadt Nun sind diese Äußerungen, die zu Recht für Empörung gesorgt haben, nur Teil eines größeren Problems. Insgesamt gehört dies zum Thema soziale Ausgrenzung und Diskriminierung in der Stadt. In diesem Zusammenhang war bereits schon einmal von Äußerungen aus dem Umfeld der Werbegemeinschaft Innenstadt "ProCity" berichtet worden, die als aggressive Hetze gegen Bettler und andere unliebsame Personen in der Innenstadt gewertet werden konnten. Die politische Diskussion im Rat, die städtebaulichen Planungsmodelle, die städtische "Gefahrenabwehrverordnung", die Öffentlichen Stellungnahmen der Innenstadt-GeschäftsinhaberInnen sowie die Maßnahmen von Polizei und Ordnungsbehörden greifen ineinander und ergänzen sich bei dem Versuch, die Innenstadt von unangepassten Menschen ohne kaufkräftiges Konsumpotential zu "säubern". Gelegentlich versucht man es mit Platzverweisen. |
Platzverweis und Stadtverbot gegen Bettler? 23.3.09 / goest / TagesSatz // Am 12.3.09 wurde uns z.B. berichtet, ein TagesSatz-Mitarbeiter habe beobachtet , wie einem Bettler in der Weender Straße ein Stadtverbot ausgesprochen worden sei. Als Grund wurde aggressives Betteln in der Fußgängerzone Weender Str. angegeben."
Seitens der Polizei war ein Vorfall dieser Art nicht bekannt. Weitere Nachforschungen ergaben: "Der betreffende 'Bettler' ist ein Hartz4-Empfänger nebenbei in der Fußgängerzone bettelt und seine 2 Hunde dabei hat. Er war nach seiner Aussage mehrfach von der Polizei mündlich verwarnt worden wegen "Aggressiven Bettelns". Mit der 3. Verwarnung wurde ihm ein offizielles Schreiben der Stadt Göttingen überreicht, in dem ihm das Stadtverbot angedroht wurde (nicht verhängt!). Der TagesSatz-Mitarbeiter ist der Meinung, dass kein aggressives Betteln vorlag." Der betroffene "Bettler" hat nach diesem Vorfall "für längere Zeit die Stadt verlassen". Deshalb konnte auch kein Einblick mehr in das Schreiben der Stadt genommen werden; der Inhalt des Schreibens wurde durch einen Zeugen bestätigt. Falls der Betroffene in Göttingen wohnt, kann er nicht mit einem Stadtverbot für Göttingen belegt werden. Das Stadtverbot als "erweiterte Platzverweis" für 6 Monate kann nur im Zusammenhang mit einer Straftat ausgesprochen werden. |