Das
Unternehmen Deutsche Bahn und seine Probleme mit der Geschichte
Gedenkkundgebung
am Bahnhof
23.
Juli 2007, 16 Uhr, Bahnhofsvorplatz.Kundgebung der Initiative „Zug der Erinnerung“
(Regionalgruppe Göttingen www.zug-der-erinnerung.eu )
zum Gedenken an die Deportation der Göttinger Jüdinnen und Juden vor 65 Jahren
. unterstützende Gruppen: Jüdische Gemeinde Göttingen, Lagergemeinschaft und KZ-Gedenkstätte
Moringen, VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen
und Antifaschisten), OLAfA (Offene Linke - Alles für Alle) Geschichtswerkstatt
Göttingen, Fantifa, Basisgruppe Geschichte


Gedenkkundgebung
auf dem Göttinger Bahnhofsvorplatz. Vor einem Transparent mit der Aufschrift „In
Gedenken an die Deportierten. 1941-45. Kein Vergessen“ wurden die Namen der 248
Holocaust-Opfer aus Göttingen und Umland verlesen. Brennende Kerzen formten die
Zahl 248.
 | Hier
sind nur uniformierte Polizei und Bahnpolizei ( = Bundespolizei) zu sehen, im
Bahnhof standen noch 3 Zivilpolizisten. |
Kritik
an Überwachung durch Staatsschutz
Die
Initiative kritisierte scharf, dass die unter anderem von der Jüdischen Gemeinde
und der KZ-Gedenkstätte Moringen unterstützte Kundgebung von mehreren Zivilpolizisten
des Staatsschutzes überwacht wurde. „Das ist ein Unding“, erklärte die Initiative.
„Es ist skandalös, wenn die Polizei offenbar sogar im Gedenken an NS-Opfer staatsfeindliche
und demokratiegefährdende Umtriebe sieht.“
Die
Kundgebung machte auch auf den „Zug der Erinnerung“ aufmerksam, der voraussichtlich
Ende November in Göttingen Station machen und dann im Rahmen der alljährlichen
Veranstaltungsreihe „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – 27. Januar“
zu besichtigen sein wird. Der Zug soll im kommenden Herbst und Winter auf der
Strecke der früheren Deportationen der Reichsbahn verkehren und die deutschen
Wohnorte der von den Nazis verschleppten und ermordeten jüdischen Kinder ansteuern.
Eine mobile Ausstellung, die das Deportationsschicksal in mehreren Waggons darstellt,
will insbesondere Jugendliche zur Spurensuche nach örtlichen Lebenszeugnissen
der mehr als 12.000 deportierten Kinder anregen. Die Ausstellung versucht aber
nicht nur, die Geschichte dieser Kinder zu erzählen und den Opfern ein Gesicht
und einen Namen zu geben, sondern es geht auch um das reibungslose bürokratische
System, das die Deportationen möglich machte. Es geht um die Verantwortung, die
Menschen und Institutionen wie die Reichsbahn und ihr Folgeunternehmen Deutsche
Bahn übernehmen müssen. Es ist wichtig, an den Orten an die Deportationen zuerinnern,
an denen sie stattgefunden haben, also auch an den Bahnhöfen.
Bahn
lehnt Ausstellung über Deportation ab und blockiert Protestaktionen dazu
30.1.07
/ Seit letztem Jahr dauert die Auseinandersetzung zwischen Deutscher Bahn AG und
der Initiative von Beate Klarsfeld, die inzwischen mehrere Unterstützergruppen
in deutschen Städten gefunden hat. In Frankreich wurde eine Ausstellung Beate
Klarsfelds ohne Einschränkungen in den Bahnhöfen gezeigt. Die Bahn AG
hierzulande jedoch weigert sich beharrlich, einer Ausstellung über die Deportationen
während des Hitler-Regimes angemessene Aufmerksamkeit zu ermöglichen
und will das Thema sanft übergehen bzw. in "ruhigere Bereiche" verlegen.
Zur Abwehr der Forderungen gab es sogar den Versuch der Bahn, stattdessen
eine selbst gestaltete Ausstellung aufzubauen - jedenfalls wollte der Chef der
Bahn AG Mehdorn keinesfalls die Ausstellung von Serge und Beate Klarsfeld übernehmen.
Am Gedenktag zur Befreiung des KZ Auschwitz am 27.1. fanden nun Aktionen in deutschen
Bahnhöfen statt. Offensichtlich auch in Göttingen -
Presseerklärung
einer "Initiative Elftausend jüdische Kinder; Göttingen" 29.1.07
"Anlässlich
des 27. Januar, des Holocaust-Gedenktages, fanden bundesweit Aktionen auf Bahnhöfen
statt. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Deutschen Bahn sich nach wie
vor weigert, auf ihren Bahnhöfen die Ausstellung über 11 000 deportierte
jüdische Kinder aus Frankreich zu zeigen.
Auch in Göttingen wurde
mit einer improvisierten Ausstellung und 900 verteilten Broschüren über
das Schicksal von insgesamt drei Millionen Deportierter aufgeklärt , die
die Deutsche Reichsbahn über ihr Schienennetz in die Konzentration- und Vernichtungslager
transportierte.
Dass die Deutsche Bahn anscheinend kein Interesse hat, an
die Millionen Menschen zu erinnern, die durch das Vorgängerunternehmen der
Deutschen Bahn meist in den sicheren Tod deportiert wurden, zeigte sich heute
auch im Göttinger Bahnhof.
Schon im Vorfeld wurden alle Bahnbedienstete
schriftlich angewiesen, das Erinnern im Bahnhof konsequent zu unterbinden. Diese
Order des Bahnvorstandes konnten die Bahnbediensteten in Göttingen nur teilweise
umsetzen. Während insgesamt 900 Infobroschüren an Reisende im Bahnhof
meist problemlos verteilt werden konnten, gingen die Bahnmitarbeiter gegen die
an einen Bauzaun angebrachte Ausstellung rabiat vor. Die Bilder von nach Auschwitz
deportierter jüdischer Kinder wurden von einem Bahnangestellten abgerissen.
Personen, die sich schützend vor die Bilder stellten, wurden weggeschubst.
Gegen eine Aktivistin wurde ein Hausverbot ausgesprochen.
Das Verhalten der
Bahnbediensteten stieß auch bei Reisenden auf Unverständnis, die die
verteilten Broschüren mit großem Interesse entgegennahmen."
Wir
haben von goest aus die "Medienbetreuung"
der Deutschen Bahn AG am 29.1.07 um eine Stellungnahme gebeten,bislang aber keine
Antwort erhalten.
Text
des Flugblattes das bei der Kundgebung verteilt wurde:
Die
Deportation der Jüdinnen und Juden war getarnt als Umsiedlungsaktion zum Arbeitseinsatz
im Osten, in Wahrheit aber geplant als Teil der „Endlösung der Judenfrage“, der
Ausrottung aller jüdischen Menschen in Europa. Nach den Beschlüssen der „Wannseekonferenz“
am 21. Januar 1942 begann im März 1942 reichsweit der Abtransport der jüdischen
Bevölkerung – vom Reichssicherheitshauptamt unter Heydrich und Eichmann in Berlin
zentral gesteuert und von der Deutschen Reichsbahn koordiniert.
Kaserniert
in „Judensammelhäusern“
In Göttingen lebten zu dieser Zeit noch ungefähr
hundert Juden und Jüdinnen. Die meisten von ihnen waren bereits zusammengepfercht
worden in den so genannten „Judensammelhäusern“ Weender Landstraße 5b und 26,
Weender Straße 1, Planckstraße 12 und Keplerstraße 3. Von diesen wurden am Morgen
des 26. März 1942 nahezu alle unter 65- Jährigen und einige etwas ältere Familienangehörige
– bekannt sind 79 Namen – zur Deportation abgeholt. Unter ihnen waren elf Kinder,
Jugendliche und junge Erwachsene; der Jüngste war drei Jahre alt. Abgesehen von
einem Gepäckstück pro Person mussten sie alles, was sie noch besaßen, stehen und
liegen lassen.
Von
Göttingen aus ins Warschauer Ghetto
Vom Göttinger Bahnhof aus wurden sie
zusammen mit weiteren Juden und Jüdinnen aus dem Umland zunächst nach Hildesheim
transportiert, wo man ihnen alle Wertsachen abnahm. Die nächste Station war das
Sammellager Ahlem bei Hannover. Dort blieben sie bis zum 31. März und wurden dann
gemeinsam mit fast 400 weiteren LeidensgefährtInnen aus den Regierungsbezirken
Hannover und Hildesheim über das Zwangsarbeitslager Trawniki in das Warschauer
Ghetto deportiert. Ab Sommer 1942 wurden die meisten von ihnen in das Vernichtungslager
Treblinka abgeschoben und dort ermordet, einige dürften im Warschauer Ghetto bei
dessen Liquidierung im Frühjahr 1943 umgebracht worden sein. Niemand von ihnen
hat überlebt.
Zweite
Deportation am 21. Juli 1942
Die Zurückgebliebenen, 31 an der Zahl – überwiegend
Männer und Frauen zwischen 70 und 90, zwei sogar über 90 –, wurden vier Monate
später am 21. Juli 1942 in gleicher Weise erfasst und in das Konzentrationslager
Theresienstadt gebracht. Aus diesem Transport kamen nur drei zurück, von denen
eine Person kurz nach der Befreiung an den Folgen der Deportation starb. Alle
anderen wurden ermordet, teils in Theresienstadt, teils in Auschwitz.
Göttingen
fast „judenrein“
Damit war Göttingen fast „judenrein“ gemacht, wie es
in der Sprache des Nazi-Regimes hieß. Im Oktober 1942 wurden nur noch neun jüdische
EinwohnerInnen registriert, die wegen ihrer nichtjüdischen EhepartnerInnen zunächst
verschont blieben. Ab Ende 1944 hielt dieser Schutz aber nur noch begrenzt. Vier
von ihnen wurden im Dezember 1944 bzw. noch im Februar 1945 nach Theresienstadt
deportiert; eine der Frauen nahm sich vor dem Abtransport selbst das Leben. Nur
vier Menschen überlebten in Göttingen, dank des Einsatzes ihrer PartnerInnen.
Und
die Göttinger Bürgerinnen und Bürger haben weggeschaut
Wie viele BürgerInnen
in unserer Stadt diese Deportationen ihrer jüdischen MitbürgerInnen zur Kenntnis
genommen haben, lässt sich heute kaum mehr ermitteln. Manche haben sich an dem
von ihnen zurückgelassenen Eigentum bereichert. Das ist aktenkundig. Im Übrigen
aber fehlen Berichte von ZeitzeugInnen, die über die näheren Umstände des 26.
März und 21. Juli 1942 Auskunft geben könnten.