Film:
Das Orangenmädchen
Die
Philosophie ist allgegenwärtig
12.11.09 / (Text: G. Schäfer, Redaktion
goest)
Ab 10. Dezember
2009 lief der Film in den Kinos an, am 26.11.09, war er im Rahmen des
"Festivals des Europäischen Films" schon im Lumière
zu sehen.
Dem Drehbuch liegt das gleichnamige
Buch von Jostein Gaarder zugrunde, der auch "Sofies Welt" geschrieben
hat. Das "Orangenmädchen" von Gaarder ist eine literarische Darlegung
der Philosophie der Frühromantik. Der Film wiederum ist eine Umsetzung
dieser Darlegung in bewegte Bilder. Die Bedeutung der Romantik als geistesgeschichtliche
Epoche wird in der Gegenwart kaum gewürdigt. Ein Banause, dem bei
"Romantik" nicht mehr einfällt als "Kerzenschein" und "auf einer
Bank im Mondschein zu sitzen", die Romantik hat nachhaltig das gesamte
europäische geistige Leben beeinflußt. Wieso diese Vorrede
zum Film? Weil Sätze mit der die Philosophie der Frühromantik,
z.B. A.W. Schlegel beschrieben wird auf viele Szenen des Films passen.
In einem
Lexikon-Eintrag des Brockhaus heißt es zur Frühromantik "Das höchste
Ziel der romantischen Kunst ist es, das Gemüt inmitten des Endlichen eins
werden zu lassen mit dem Unendlichen" . Im Film spielt die Unendlichkeit mit der
Betrachtung des Weltalls hinein. Sowohl bei der Sternenbeobachtung des Vaters
Jan Olav mit dem Sohn Georg (Mikkel Bratt Silset) als auch bei der Sternenbeobachtung
von Georg zusammen mit einem Mädchen, in das er sich zu Verlieben beginnt.
Da spielt jeweils die Unendlichkeit des Weltalls oder die unendliche Zahl der
Sterne aber auch die "unendliche" Schönheit eines Kometen hinein.
Bei der Betrachtung des Kometen durch das Fernrohr stellen Georg und Stella eine
Faszination dar, die genau dem obigen Satz aus dem Lexikon entspricht. Was
hat es mit den Orangen auf sich? Bei einem Film mit derartiger philosophischen
Trift darf man als erste Interpretation auf die Bedeutung der Farbe Orange im
Buddhismus hinweisen: die Farbe der höchsten Stufe der Erleuchtung. Der Film
setzt durchgehend orange Farbtupfer in die Szenen. Wenn man gezielt darauf achtet,
wirkt es nach einiger Zeit etwas routinemäßig dekorierend. Die Wand
in der U-Bahn, der Mantel eines zufällig vorbeiradelnden Kindes auf einem
Dreirad usw. und die Kleidung des Orangenmädchens sowieso. Einmal werden
die Orangen aber auch selbst für ein weiteres philosophisches Appercu benötigt.
Jan Olav fragt: du hattest eine ganze Tüte Orangen gekauft weil du sie malen
wolltest, warum hast du nicht nur eine gekauft und sie mehrmals gemalt? Das Orangenmädchen
antwortet: Weil keine Orange der anderen gleicht, alle sind verschieden voneinander.
| Foto:
Presseheft des Verleihs |
Eine
lexikalische Aussage über die Philosophie der Frühromantik enthält
den Satz "Alles Dasein sei als ein ewiges Werden und das Einzelne als Ausdruck
des Unendlichen zu begreifen" . Im Film heißt es "Ein Menschenleben ist
kurz, es braucht Milliarden Jahre um es zu erschaffen aber es kann in Sekunden
zerstört werden." Jan Olav sagt zu seinem angebeteten Orangenmädchen
"Was hast Du über die Ewigkeit gesagt? Der Augenblick ist jetzt!" Der Widerstreit
zwischen Unendlichkeit und Vergänglichkeit versteckt sich in nahezu banalen
Dialogen wenn Georg zu seiner Freundin, die ausgerechnet auch noch "Stella" heißt,
davon spricht, dass "echte Liebe ewig dauert" und Stella antwortet: "Quatsch,
nichts dauert ewig." Als das gealterte Orangenmädchen Veronika (die
Mutter von Georg) nach langer Trauer über den Tod ihres Liebsten Jan Olav
eine neue Liebe zulässt, da wird dem Satz "Liebe ist stärker als der
Tod" das "Alles ist ein ewiges Werden" zur Seite gestellt. In
einer anderen Szene wird der Gegensatz "Determinismus versus Freiheit" als philosophische
Fußnote in einem Dialog untergebracht, wenn der Liebende sich fragt ob zwei,
die füreinander gemacht sind, sich sowieso finden - ob also alles ein großer
Plan oder doch nur Zufall sei. Um
das Herumkurven in der frühromantischen Begriffswelt spannend zu gestalten,
bedient sich schon die literarische Vorlage einer Liebesgeschichte und einer damit
verschränkten Todesgeschichte Jan Olavs, des Vaters von Georg. Liebe und
Tod, was könnte ein geeigneterer Anknüpfungspunkt sein, über Unendlichkeit
und Leben nachzudenken. Bild:
Das Orangenmädchen (Annie Dahr Nygaard) und Jan Olav (Harald Thompson Rosenstrøm)
/ Foto: Presseheft des Verleihs. | |
Um
zu zeigen, wie die Liebe die Unendlichkeit berührt, verfügt ein Film
natürlich über zusätzliche Mittel gegenüber der literarischen
Vorlage ... schauspielerische, bildliche Zwischentöne. Das Orangenmädchen
(Annie Dahr Nygaard) trägt das ihre dazu bei, Dinge darzustellen, die man
kaum in Worte fassen kann. Ein Zucken, ein Augenaufschlag der etwas signalisiert,
was intuitiv als Gefühl wahrgenommen wird aber der bewußten Aufmerksamkeit
nicht so leicht zugänglich ist und entgleitet. Das sind Momente, wo der Film
über die literarische Vorlage hinausgeht und zusätzliches leistet.
"Es ist zum sterben schön!" Wer dieses
Gefühl einmal empfunden hat oder in einem Glücksmoment sich
so fühlte, als würde seine zeitliche Existenz auf dieses punktuelle
zeitlose "Jetzt" zusammenschmelzen (Ach ja ... Uhren kommen
auch oft unaufdringlich aber deutlich symbolisch im Film vor), dem wird
der Film gefallen. Für das rein instrumentelle Durchwursteln in
der "harten Realität"
ohne transzendierenden Traum
taugt der Film weniger. Nix für "harte Burschen" , die
kämpfen aber nicht träumen können.
Facts
Regie:
Eva Dahr Drama, Norwegen/Deutschland/Spanien 2008, 88 min, Originalsprache
Norwegisch mit Deutschen Untertiteln Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Berlin.
Drehbuch:
Axel Helgeland, Andreas Markusson nach einer Vorlage des norwegischen
Autors Jostein Gaarder
Drehorte
Oslo, im norwegischen Rondane Nationalpark, in Sevilla (Spanien)
und im Studio in Erfurt gedreht. Der Kameramann ist der Norweger
Harald Paalgard, einer der bekanntesten norwegischen Kameramänner.
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"Göttinger
Orangenmädchen" Ein
Live-Zitat des Orangenmädchens bei der Göttinger Inszenierung des Projektes
"Il-treno" von John Cage 2004 Und
zum Schluß noch eine nette Geschichte mit Bezug zu Göttingen: Im Jahr
2004 wurde John Cages Projekt "il treno" auf der Strecke Göttingen-Kassel
umgesetzt (siehe Artikel in goest). Und immer wieder
tauchte da eine Frau in orangem Kleid auf, mit einem Netz voller Orangen. Und
immer wieder fiel ihr das Netz aus der Hand und die Orangen kullerten z.B. im
Bahnhof Hann. Münden die Treppe hinunter, die Umstehenden sprangen herbei
um beim Auflesen zu helfen. Es war eine Szene aus dem Buch das Orangenmädchen.
Daniel Ott, der die Inszenierung geleitet hat muß das Buch gelesen haben. | Foto:
goest |
Außerdem
gab es bereits mehrfach eine Theaterfassung des Orangenmädchens, die in der
Saline Göttingen aufgeführt wurde. zum
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