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"Der größte Zwerg"
Theaterstück
über Georg Christoph Lichtenberg (GCL)

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Junges Theater
"Der größte Zwerg

Das Leben des Georg Christoph Lichtenberg verlief immer wieder sehr unkonventionell, und es fand zum allergrößten Teil in Göttingen statt. Georg Christoph Lichtenberg wurde bis heute weder auf die Bühne gebracht noch verfilmt. Mit „Der größte Zwerg“ stellte das Junge Theater nun ein Theaterstück über das Leben Lichtenbergs vor. Premiere war am 24. Februar, dem Todestag von GCL, 2017 im Jungen Theater


Die Schauspieler*innen: Peter Christoph Scholz (vorne); Linda Elsner , Jan Reinartz , Agnes Giese , Karsten Zinser , Franziska Lather / Foto (c) Dorothea Heise

25.2.17 / G. Schäfer
Die Inszenierung war von der detaillierten Sachkenntnis des Autors und Historikers Peter Schranz geprägt. Von der Geburt GCLs bis zum Tode war es eine Parforcejagd durch die >>Biografie von GCL. Um die vielen Andeutungen im Stück einordnen zu können setzte schon Kenntnisse über die Biografie GCLs voraus.

Ein Lichtbergkenner meinte u.a. zur Premiere: "eindrucksvoll und nachdenklich die Tanzszene und der Brief an Amelung nach dem Tod der Stechardin, viel O-Ton im "Baldinger-Brief" (Cheapside > und Fleetstreet ...), toll inszeniert die Helgolandfahrt!"

[ebendiese Details sind auch dem goest-Rezensenten bereits teiweise entgangen]

Das Stück wirkte insgesamt wie eine Aneinanderreihung von Fußnoten in der Form aufblitzender Bilder: hier eine Andeutung, da eine Andeutung, allenfalls kurze Erläuterungen. Zu kurz, denn hinter den Andeutungen lauerten umfangreiche Geschichten. Die Expert*innen der Lichtenberggesellschaft, die im Rahmen ihrer Jahrestagung in Göttingen demnächst sicherlich das Stück anschauen werden, haben sicher ihre wahre Freude an dem Stück. An weniger Informierten werden viele Andeutung aber vorbeihuschten. Obwohl die Elektrizitätsversuche Lichtenbergs noch zu den bekanntesten Tatsachen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit gehören, mag sich dennoch mancheine/r gefragt haben, welchen Sinn das Auftauchen einer die Stofftier-Katze haben soll, die plötzlich ins Spiel kam. Sie sollte daran erinnern, dass GCL bei seinen Vorlesungen zur Demonstration die Haare einer Katze elektrostatisch auflud. Bei der Darstellung der Experimente war das Theater übrigens aus Sicherheitsgründen stark eingeschränkt; die JT-Bühnentechnik hatte sich aber allerhand einfallen lassen und illustrierte die Experimente einfallsreich mit Gasballons, Lichtgeräten und Nebelmaschine. Die naturwissenschaftliche Souveränität Lichtenbergs blitzte im Stück aufs allerknappste und dennoch erfrischende Weise auf, als Lichtenberg ausrief: "Goethes Farbenlehre? Alles Schrott!" (womit er ziemlich recht hatte). GCL hat nach einem Treffen mit Goethe immerhin eine 4 Jahre dauernde Korrespondenz mit ihm geführt.
Lichtenbergs elektromagnetischen Experimente, die zu späteren Zeiten in die Erfindung des Fotokopierers mündeten wurde durch die demonstrative Benutzung eines Fotokopierers in einer Ecke der Bühne gewürdigt.
Apropos Bühne: Auf der Bühne wurde kaum gespielt. Fast alles fand im Zuschauer*innenraum statt. Dieser war geteilt: links und rechts Publikum, in der Mitte eine Reihe mit 4 Tischen. Das bedeutete, dass die Schauspieler*innen oft erst der einen und dann der anderen Hälfte des Publikums den Rücken zukehrten. Rund um die Tische herum, auf den Tischen, unter den Tischen, zwischen den Tischen und mit den Tischen lief dann ein fortdauerndes Spektakel ab. Ein bisschen zu klamaukhaft vielleicht, ein bisschen zu viel Geschrei und Gerenne rund um die Tische - als wolle man einen Aufführungsgeschwindigkeitsrekord aufstellen. Andererseits aber auch herrlich kreativ die Verwendung zweier Tische zur Simulation von Lichtenbergs Seefahrt nach Helgoland. Ein Tisch quer auf dem anderen, von 4 Leuten geschaukelt wie ein Schiff auf See und Lichtenberg an Deck, das wilde Meer bejubelnd.


Bild 2: (v.l.n.r.) Peter Christoph Scholz , Agnes Giese , Linda Elsner , Jan Reinartz , Franziska Lather
Lichtenberg auf dem simulierten Schiff während der Reise nach Helgoland / Fotos c Dorothea Heise

Jede/r Schauspieler/in bekam einmal den Buckel aufgeschnallt. Der Stoffbuckel und eine Perücke kennzeichneten den jeweiligen Lichtenberg.

"Sudelstück" heißt es im Untertitel - und so gab sich die Inszenierung einen Freifahrtschein für etliche obszöne Einlagen auch mal mit eindeutigen Hüftbewegungen. Lichtenbergs "Fragment von Schwänzen" (honi soit qui mal y pense) blieb nicht ohne Hinweis auf die mit wissenschaftlicher Brillanz vorgetragene Kritik Lichtenbergs an den "Physiognomen". So hatte Lichtenberg Zunächst einmal mit einer Streitschrift, »Über Physiognomik; wider die Physiognomen«, die Lavaters Lehre nach allen Regeln der Kunst zerpflückt und schließlich vom gelehrten Salontisch fegt; und später dann auch mit jenem satirischen »Fragment von Schwänzen« (>>DLF, 24.2.1999) die Physiognomen der Lächerlichkeit preisgegeben. Seine Satire leitete zum Gespött der Physiognomen den menschlichen Charakter aus Schwanzformen ab, beginnend mit Hundeschwänzen bis hin zu den Perückenschwänzen der "Purschen". Allein die Darstellung dieser Episode hätte durchaus Stoff für längere Ausführungen geboten, um die Ernsthaftigkeit der wissenschaftlichen Arbeit und die Übersetzung in Satire ausreichend zu würdigen.

Eine wunderschöne Szene, die auch mit Szenenapplaus des Publikums bedacht wurde, war "die Schöne und das Biest"-Analogie, diesmal auf der Bühne getanzt, Linda Elsner mit langem roten Rock auf Stelzen und das Biest (Jan Reinartz), als Gnom, als Mensch mit Behinderung , mit Buckel und Tiermaske im Tanz mit ihr.


Linda Elsner , Jan Reinartz (c) Dorothea Heise

Und dann das Thema "Lichtenberg und die Frauen". Da haben wir in goest auch so unsere Erfahrungen gemacht und eine umfangreiche Korrespondenz ausgelöst als wir vorschlugen bei Promotionsfeiern sollte lieber Lichtenberg statt des Gänseliesels geküsst werden. In einer daran anschließenden Debatte kamen dann die >Verschwiegene Schattenseiten Lichtenbergs ans Tageslicht, deren Problematik auch im Theaterstück nicht thematisiert wurden.

Und weiter ging es mit den biografische Stationen Lichtenbergs:
- Die tiefe Trauer über den Tod seiner jugendlichen Hausgehilfin, die im Alter von 13 bis 18 bei ihm lebte - eine Episode
- die Geburt von vielen Kindern (bühnen-technisch gelöst in Form von Kissen, die unter dem Rock hervorgezogen wurden und dann unter Mama-Rufen über den Tisch gerollt wurden)

- die Lust auch nach seiner späteren Heirat mit seiner zweiten Frau neuen Reizen nachzugehen.


Agnes Giese , Linda Elsner , Jan Reinartz, - (c) Dorothea Heise // GCLs Begehren


Karsten Zinser als GCL schreibt alle Krankheiten an die Tafel, die Lichtenberg gequält haben.

Und schließlich die letzte Episode, der Tod - als Folge einer Vielzahl von Krankheiten, die mit seinem Buckel, der Kyphoskoliose zusammen hingen. Insbesondere Asthma und Husten wurden über Gebühr im Stück demonstriert, dass einen als Zuschauer selbst der Hustenreiz würgend hochstieg. Und dann in der Todesszene eine veritable Überraschung in einem opernreifen Sopran von Franziska Lather. Der Bogen von der Geburt bis zum Tod ist am Ende angekommen. Nun fliegen noch ein paar Stapel Zettel mit Lichtenbergsprüchen ins Publikum: Aus .... und tosender Applaus.

Inszenierung und Bühne Peter Schanz


Peter Schanz / foto goest

Kostüme Gesa Kallsen
Musikalische Arrangements und Einstudierung Peter Christoph Scholz Dramaturgie Tobias Sosinka

Weitere Aufführungstermine:
04.03.2017, 20:00 10.03.2017, 20:00 18.03.2017, 20:00 31.03.2017, 20:00 29.04.2017, 20:00 17.05.2017, 20:00 09.06.2017, 20:00 30.06.2017, 20:00 01.07.2017, 20:00


foto: c / goest