Kulturförderung
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27.3.12 // Im Folgenden eine Gast-Rezension des Buches "Der Kulturinfarkt" und einem dazugehörigen SPIEGEL-Artikel.
Olaf
Martin Der Beitrag "Die Hälfte?" im SPIEGEL vom 12.3.2012 war für Kulturleute ein Paukenschlag. Und auch dieser war nur der Auftakt für das Buch "Der Kulturinfarkt", das eine Woche später erschien. "Was wäre, wenn die Hälfte der Theater und Museen verschwände, einige Archive zusammengelegt und Konzertbühnen privatisiert würden? 3200 statt 6300 Museen in Deutschland, 70 staatliche und städtische Bühnen statt 140, 4000 Bibliotheken statt 8200 - wäre das die Apokalypse?" ...so fragen die Autoren Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz rhetorisch. Dieter wer..? Muss man die kennen? Muss ich das lesen? Um
es kurz zu sagen: Wer sich für Kultur und ihre Finanzierung interessiert,
generell oder nur in Göttingen, musste diese Namen bisher nicht unbedingt
kennen. Obwohl er zumindest einen kennen könnte: Dieter Haselbach mit seiner
Firma ICG Culturplan hatte an der Erarbeitung des Göttinger Kulturwirtschaftsbericht
2011 und des "Leitbildes für die Kulturpolitik" mitgewirkt. Offenbar
sind es auch seine Göttinger Erfahrungen, die an einer Stelle im Buch reflektiert
werden: 1.
Wer wissen will, um was es geht und welches die wesentlichen Positionen und Provokationen
des Quartetts sind, sollte zumindest den >>SPIEGEL-Artikel lesen, der z.
B. >>hier
inzwischen vollständig im Netz zu finden ist. Da er von den vier Autoren
selbst verfasst wurde, ist er eine knappe, aber zuverlässige Zusammenfassung
der wichtigsten Aussagen. Schrille Reaktionen In den ersten Stunden und Tagen nach Erscheinen des SPIEGEL-Artikels zweifelte ich daran, ob die Vertreter kultureller Interessen überhaupt die grundlegende Kulturtechnik des Lesens beherrschen. Der deutsche Kulturrat, der Bühnenverein, Intendanten protestierten empört gegen das Ansinnen, die Kultur-Etats um die Hälfte zu kürzen. Davon ist jedoch weder im SPIEGEL noch im Buch die Rede, siehe das Zitat oben. Präziser war dann die erste Berichterstattung in den Medien die Journalisten lesen immerhin das, was bei den Kollegen gedruckt wird. Nach und nach erschienen auch nachdenkliche und abwägende Stellungnahmen, vor allem von jenen, die professionell in der Kulturpolitik tätig sind, oder Akteuren, die zu den Gewinnern gehören könnten, wenn die Konzepte jener "Viererbande" umgesetzt werden sollten. Die Adressaten der Polemik Die Autoren unterziehen das System der Kulturfinanzierung im deutschsprachigen Raum einer radikalen Kritik. Aber wen genau greifen sie an? Eigentlich nicht jene, die sich als erstes getroffen fühlten, nämlich die Vertreter von Kultureinrichtungen. Diese verhalten sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens völlig rational und jede Änderung dieser Vorgaben muss ihnen als Bedrohung erscheinen. Schon gar nicht greifen sie jene Feuilleton-Redakteure an, die sich etwas pikiert-herablassend plötzlich mit Personen und Positionen auseinandersetzen müssen, die sie zwischen Premieren-Besprechung, Intendanten-Skandal und Kürzungs-Protest bisher so gar nicht auf dem Schirm hatten. Und überhaupt nicht jene Kulturliebhaber, die Konzert, Theater und Museum besuchen, weil es ihnen gefällt. Nein, Adressaten dieser Polemik sind die Entscheidungsträger, also Politiker mit Verantwortung für den Kulturbereich und die Fachleute in den Ministerien, Kulturämtern und Stiftungen also jene, die Verantwortung für die Strukturen der Kulturfinanzierung und den Fluss des entsprechenden Geldes tragen. Zertrümmerung von Dogmen "Kultur kann es nie genug geben". "Was einmal weg ist, kommt nie wieder". "Gute Kultur schafft sich ihre Nachfrage". "Kultur muss vor dem Markt geschützt werden". "Fördern, was es schwer hat". "Orientierung am Publikumsgeschmack ist Kommerzkultur". "Kulturausgaben sind keine Subventionen, sondern Investitionen" das sind nur einige der Dogmen, die von den Autoren lustvoll demontiert werden. Das bis heute wirkende Motto des "Kultur für alle" aus den 70er-Jahren wird als Bevormundung charakterisiert: Wir haben hier eine wertvolle bürgerliche Hochkultur, die machen wir jetzt für alle zugänglich, damit jeder in deren Genuss kommen kann. Die Definitionsmacht, was als wertvoll zu gelten hat, bleibt aber in der Hand einer kleinen kulturellen Elite. Von da ist es nicht weit zu jenem Befund, der Insidern zwar schon länger bekannt ist, aber ungern offen angesprochen wird: Dass die öffentliche Kulturförderung eine massive Umverteilung von unten nach oben ist. Jene meist wohlsituierten 10 Prozent der Bevölkerung, die regelmäßig kulturelle Angebote nutzen, lassen sich die Eintrittspreise hierfür von den anderen 90 Prozent subventionieren. Puuh... das ist schweres Geschütz. Einige Male hielt ich die Luft an und zog den Kopf ein: Au wei, jetzt machen sie das auch noch platt..! Leicht lesbar, schwer nachzuvollziehen Heikel ist die Form, in der die Autoren ihr Anliegen vertreten. Einerseits ist das Buch und auch der SPIEGEL-Artikel, der aus Buchauszügen besteht leicht und eingängig zu lesen. Eine zugespitzte Formulierung folgt der anderen, rhetorisch geschickt werden Positionen auf den Punkt gebracht. Aber eigentlich kann man kein ganzes Buch in diesem Kolumnen-Stil schreiben. Schnell verliert man den Überblick oder glaubt, ein Statement zum dritten Mal zu lesen, sind Aussagen allzu pauschal und undifferenziert. Einerseits wird einleuchtend dargelegt, dass heute keine allgemein anerkannten Qualitätsmaßstäbe für Kultur mehr existieren. Andererseits wird der ganze Reformeifer der vier Autoren auch dadurch angetrieben, wieder "große Kunst" zu ermöglichen. Aha und woran erkenne ich die, wenn es doch keine Maßstäbe gibt..? Mit dem Verweis auf eine Reihe empirischer Untersuchungen wird festgestellt, "dass Präferenzen tatsächlich angebotsabhängig sind", die Art des Kulturangebots also die Nachfrage beeinflusst. Über weite Strecken wird dann aber gegen das schon erwähnte Dogma, gute Kultur rege die Nachfrage an, argumentiert. Ja, was denn nun? Weitere Widersprüche und Ungenauigkeiten ließen sich finden und wurden von den präziseren Kritikern auch aufgespießt. Das kommt davon, wenn vier Köche einen Textbrei anrühren. Aber ganz offenkundig will das Buch gar keine gründliche, mit Fußnoten gepflasterte Aufarbeitung der bisherigen Kulturpolitik bieten. Dann hätten die vier Autoren wohl mehr als 1000 Seiten gebraucht, um ihre Argumente auszubreiten; sie könnten dies sicher auch. Nein, sie wollen bewusst provozieren, aufrütteln, Furore machen. Die Expertendiskussion zu diesen Themen gibt es schon lange, aber sie versickert bisher wirkungslos in Tagungszirkeln und Fachzeitschriften.Die Viererbande will tatsächlich die bestehenden Verhältnisse ändern. Ernsthaft? Was ist also davon zu halten? Muss man das ernst nehmen? Ich meine: ja, man muss. Unbedingt. Ich kenne alle vier Autoren von Tagungen und Publikationen her, Dieter Haselbach und Pius Knüsel auch näher aus persönlichen Gesprächen. Die flotte Rhetorik ihres Buches sollte nicht dazu verführen, sie für leichtfertig oder gar inkompetent zu halten. Sie haben langjährige Erfahrung im Kulturbetrieb und sind intime Kenner der Verhältnisse. Ihre Analyse des gegenwärtigen Kulturbetriebs ist über weite Strecken zutreffend. Ihre Schlussfolgerungen sind keineswegs zwingend, in jedem Fall aber sehr mutig und diskussionswürdig. Wenn man ihnen gerecht werden will, sollte man ihre Ausführungen mit einer wohlwollenden Neugier lesen. Konzentriert man sich auf die stilistische Unschärfe, die Widersprüche und unbelegten Pauschalbehauptungen, verpasst man die Auseinandersetzung mit den Zielen und Ideen. Auf dieser Ebene gibt es immer noch genug Diskussions- und Fragwürdiges, aber unterhalb dieses Niveaus sollte man den Diskurs nicht führen. Ein Manifest der Freibeuter Worauf nun wollen sie hinaus, lassen sich die Vier im politischen Koordinatensystem irgendwie einordnen? Viel spricht dafür, ihre Motive als eine erneuerte linke Kulturpolitik einzuordnen: Sie wollen endlich Schluss machen mit der Privilegierung einer kleinen Kulturelite, den Anspruch des "Kultur für alle" wirklich umsetzen. Teilhabe auch für jene, deren Kulturkompetenz man bisher nur mit Castingshows oder Satellitenschüsseln für türkische Sender assoziierte. Dem gestandenen Linken wird jedoch die Sympathie der Autoren für die Mechanismen des Marktes und das kulturelle Unternehmertum Stirnrunzeln bereiten. Gerade jenes wird das Herz des neoliberalen FDP-Politikers erfreuen: Freier Markt für freie Bürger! So richtig lässt sich das Quartett dafür jedoch auch nicht vereinnahmen, denn sie verteidigen und begründen pointiert, dass die öffentliche Hand sich in das Kulturleben einmischt; keineswegs weniger als bisher, nur ganz anders. Für eine konservative Kulturpolitik fallen mir keine richtigen Anknüpfungspunkte ein; das könnte allerdings auch an mir liegen. Man sieht also, der "Kulturinfarkt" liegt quer zu den gängigen politischen Kategorien, das erklärt wohl die Ratlosigkeit und Wut mancher Reaktionen. Darin liegt aber auch das Potenzial, denn für alles Neue fehlen anfangs die Schubladen. Es würde mich nicht wundern, wenn man rückblickend einmal dieses Buch als Grundstein einer Kulturpolitik der Piratenpartei einstufen wird - vorausgesetzt, diese kommt ins politische Erwachsenenalter. Die digitale Umwälzung der Distributionswege für kulturelle Inhalte ist ein Ausgangspunkt für viele Vorschläge der Autoren. Die Wertschätzung des unternehmerisch agierenden Künstlers; die Betonung des autonomen Kulturkonsumenten; der Vorschlag (ist er ernst gemeint?), statt der Zwangsmusikalisierung durch "Jedem Kind ein Instrument" lieber ein Programm "Jedem Kind ein iPad" aufzulegen das alles zeigt eine gewisse Nähe zu Grundanliegen der Piratenpartei. Diese hat das wohl noch gar nicht gemerkt. Jetzt mal ganz praktisch Was wäre zu erwarten, wenn man die Vorstellungen der Viererbande umzusetzen versuchte? Im zweiten Teil des Buches entwickeln sie eine ganze Reihe von durchaus konkreten Maximen und Vorschlägen, die nicht in der SPIEGEL-Version auftauchen. Einige sollen hier in Stichworten angedeutet werden:
Wer jetzt ratlos oder irritiert den Kopf schüttelt, ist genau in der richtigen Verfassung, um sich weiter mit den Positionen der Autoren zu befassen. Ist das brauchbar? Oder wäre das die Apokalypse, wie die Autoren selbst fragen? Vielleicht muss man mal wieder ins Gedächtnis rufen, dass Apokalypse eigentlich "Offenbarung" heißt. Und Krise bedeutet "Entscheidung". ------------------
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