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Kehlmann, Tournee - 2009 , Stadthalle Göttingen 19.2.09,
Bericht über die Veranstaltung 21.2.09 / G.Schäfer / Mein Besuch der Veranstaltung war nicht primär von literarischem Interesse geprägt. Die Neugier bezog sich eher auf das Event als solches. Wieviele BesucherInnen würden zu einer Lesung in die Stadthalle kommen? Könnte man anhand der Veranstaltung in Göttingen vielleicht den Grund dafür erkennen, dass Kehlmann reihenweise die größten Säle verschiedener Städte füllt? Zwei Tage bevor er nach Göttingen kam, las er in München vor 800 Leuten und danach war er im ausverkauften (!) Frankfurter Schauspielhaus aufgetreten bevor nach Göttingen kam. Nach der Lesung in Göttingen stehen Bern, Zürich, Stuttgart, Köln, Leipzig und Dresden auf dem Tourneeplan.
Als Kehlmann seinen ersten Roman, "Beerholms Vorstellung" 1997 veröffentlichte, war er gerade mal 22 Jahre alt. Das Literarische Zentrum Göttingen hatte bereits früh Veranstaltungen mit Daniel Kehlmann auf dem Programm als er noch fast unbekannt war. Anfangs kamen zu seiner Lesung im Literarischen Zentrum weniger als 50 Leute. Offensichtlich erinnert sich Kehlmann an diese früher Förderung, wenn zwischen den Großestädten der Tournee auch Göttingen berücksichtigt wird. Spätestens nach "Die Vermessung der Welt", ein Buch, das alle Verkaufsrekorde sprengte und bereits nach etwas mehr als einem Jahr schon die Million überschritten hatte war das "Phänomen Kehlmann" geboren. Wegen seiner Bedeutung im internationalen Kulturbetrieb wurde der junge Kehlmann eine Weile als Wunderknabe gehandelt. Inzwischen nennt ihn z.B. der Berliner Tagesspiegel den "gerade berühmteste Schriftsteller der Welt im deutschsprachigen Raum". Jetzt ist er 34 Jahre alt, hat für den oberflächlichen Blick aber immer noch dieses jungenhaft Gesicht. Es wirkt wohltuend, wenn ihn der Gesprächspartner Joachim Scholl mit "Herr Kehlmann" anspricht, denn das Wunderknabenimage passt nicht mehr. Mit der Zeit konnte das "Phänomen Daniel Kehlmann" nicht mehr allein mit literarischen Begriffen gefasst werden. Es wurde auch zu einem Konstrukt der Medien, der Literaturkritik und Öffentlichkeit, die sich am Phänomen Kehlmann abarbeiteten. Die FAZ schrieb anlässlich seines Auftritts in Frankfurt auch schon gar nicht mehr über das literarische Werk Kehlmanns an sich, sondern "Außerliterarisch: Vom Umgang mit Daniel Kehlmann" (18.2.09) . Das schöne daran ist: er reflektiert das und verarbeitet es sogar literarisch. Deswegen hat die Süddeutsche Zeitung auch bei seinem neuen Buch "Ruhm" passend witzig von der "Vermessung des Ruhms" geschrieben. Er verwendet in "Ruhm" z.B. Romanfiguren in Form "berühmter Autoren" und deren Begegnungen mit ihren Fans. So kann er literarisch, spielerisch seine eigene Verortung als Erfolgsautor verarbeiten. Spielerisch, weil er davon erzählt, dass er an der einen oder anderen Textstelle den Kritikern "eine Falle gestellt" habe. Stellen bei denen er die Reaktion provoziert, die sich allerdings beim genaueren Hinsehen verbieten würde und somit Oberflächlichkeit beweist.
Im Gespräch bewegte er, der auch ein bißchen in Wien zuhause ist, sich mit einem Charme der für den Bruchteil einer Sekunde den Namen Peter Alexander bei mir aufblitzen ließ. Dies ist als Vergleich natürlich völlig unhaltbar und vielleicht empörend aber es war nun eben mal ein Gedanke, ich glaube der Akzent in der Sprache gab den Impuls. (Zum eigenen Hören: http://www.rowohlt.de/ das Video mit Kehlmanns Lesungsausschnitt anschauen).
Bei der Auflagenhöhe, die Kehlmanns Bücher erreichen, geht es um sehr viel Geld. Wie sehr es dem Verlag um Geld geht, zeigte z.B. der Begleitbrief des Verlags beim Verschicken der Rezensionsexemplare von "Ruhm": Wer es gewagt hätte, das Buch vor seinem Erscheinen zu rezensieren, dem wurde vom Verlag eine Strafzahlung von 250.000 € angedroht. Und in dieser Angelegenheit hat Rowohlt tatsächlich den Spiegel verklagt, der ein Portrait von Kehlmann mit Hinweisen auf das neue Buch veröffentlicht hatte. Inzwischen sind schon wieder mehr als 300.000 Exemplare des Buches "Ruhm" verkauft worden. Kehlmann ist Gold wert für den Rowohlt-Verlag. Und natürlich ist die Rundreise mit Lesungen Marketing. Schön war deshalb, dass man der ganzen Veranstaltung dennoch nicht zu sehr anmerkte, dass es vor allem ums Geldverdienen ging. Die beiden Gesprächspartner auf der Bühne, Kehlmann und Scholl wissen so gut mit Sprache umzugehen, dass das Zuhören ein Genuß war. Und schließlich bekam man auch einen Eindruck davon wie Kehlmann schriftstellerische Methoden ausprobiert. Der bereits erwähnte Artikel der FAZ schloß übrigens mit der Feststellung "Kehlmann macht eine ganze Reihe von Kollegen unmodern wie Wandtelefone". In Bezug auf dessen Strukturexperimente scheint das Urteil ganz zutreffend zu sein. Etwas Magenkräuseln verursachte mir die zweite der beiden von Kehlman vorgelesenen Geschichten aus "Ruhm". Darin geht es um die Internetwelt, einen ziemlich bedauernswerten Internetuser, der allerdings absolut klischeehaft beschrieben wurde. Der Versuch, eine Geschichte in der Internetwelt zu verorten schien mir doch von sehr begrenzter Kenntnis dieser Welt zu zeugen. Dass die in dieser Teilgeschichte verwendete Sprache dann mehrfach als "Kunstsprache" bezeichnet wurde, weil die ja doch nicht wirklich so reden, wirkte wie der Versuch, damit einen Fehlgriff zu kaschieren. Vielleicht unterliege ich da einem Mißverständnis, aber Kehlmann wunderte sich, dass diese Geschichte in Internetkreisen keine Aufmerksamkeit erfahren hat. Mich wundert es eher nicht. Aber alles in allem ist der Kehlmann-Hype so interessant, dass ich glatt noch mal in eine Lesung von ihm gehen würde, um das Drumherum beobachten zu können.
Ankündigungstext des Literarischen Zentrums Do.
19.02.09 20:00 h Stadthalle Göttingen |