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Krieg Afghanistan

 

Todesanzeige für toten Soldaten in Göttingen

Der Krieg wird auch in Göttingen unmittelbarer wahrnehmbar. Wir hatten vor kurzem über eine Tagung berichtet, bei der die psychischen Folgen erlebter Grausamkeiten im Krieg behandelt wurden (siehe auch >hier). Nun lesen wir im Göttinger Tageblatt vom Samstag den 17.4.10 die Todesanzeige von Nils Bruns, geboren 1974 und in Afghanistan gestorben am Karfreitag den 2.4.2010. Überschrieben mit "Ein Opfer für das Vaterland! Oh Land du hast unsere Sonne untergehen lassen." und "Niemand und nichts kann uns Nils ersetzen".

Nils Bruns war Hauptfeldwebel und gehörte zum Fallschirmjägerbattallion in Seedorf/Niederachsen. Er stammte aus der Region und hat bis zur Auflösung der Panzer-Pionier-Kompanie als Stabunteroffizier seinen Dienst in Holzminden geleistet . Auf der Homepage der Pioniere findet sich auch ein Portraitfoto von Nils Bruns.
Der für Krieg zuständige Bundesminister sagte auf der Trauerrede am 9.4.10 http://www.bmvg.de "Hauptfeldwebel Nils Bruns wurde 1974 in Stadtoldendorf geboren. Nach der Schule absolvierte er eine Lehre als Maler und Lackierer. 1998 ging er zur Bundeswehr. Er verpflichtete sich bei den Pionieren. 2004 war er bereits im Auslandseinsatz im Kosovo. 2005 wechselte er zu den Fallschirmjägern. Ein Jahr später wurde er zum Berufssoldaten ernannt. Mit seinem Bataillon verlegte er 2007 in den Standort Seedorf. Hier ist er heimisch geworden und wohnte zusammen mit seiner Frau und seiner kleinen zweijährigen Tochter in direkter Nachbarschaft. Seit dem letzten Jahr war Hauptfeldwebel Bruns stellvertretender Zugführer – und alle, die ihn kannten, wussten, dass er dafür mehr als der Richtige war. Er war ein überaus fürsorglicher und verantwortungsvoller Vorgesetzter, ein verlässlicher Kamerad und für nicht wenige aus der Kompanie, ich durfte dies erfahren, auch ein tatsächlicher Freund. Er teilte sein viel zu kurzes Leben."

Online-Kondolenzbuch unerwünscht?

In der Bremvörder Zeitung in deren Einzugsbereich sich die Kaserne befindet war angekündigt worden, dass die Kaserne ein Online-Kondolenzbuch einrichten wolle. Das wurde auch kurzzeitig auf http://www.fallschirmjaegerkaserne.de eingerichtet, aber schon am 19.4.10 wurde es wieder entfernt. Nun gibt es dort kein solches Kondolenzbuch mehr. Stattdessen war ein freies Kondolenzbuch unter dem Portal http://www.kondolenzbuch-online.de eingerichtet worden. In diesem Kondolenzbuch waren binnen kürzester Zeit eine sehr große Anzahl von Kondolenz-Einträgen erfolgt. Eine Eintragung aus Hildesheim schilderte z.B. Nils Bruns als "einer der symphatischsten Persönlichkeiten, die ich in meinem bisherigen Leben kennenlernen durfte." und bei einer anderen Eintragung heisst es "Ich durfte mit Nils Bruns 2003/2004 gemeinsam in einer Kompanie im Kosovo-Einsatz meinen Dienst leisten und habe dort ein tollen Menschen kennen gelernt", jemand anders schreibt "Ich habe mit Nils Bruns als Kind in Göttingen zusammen gespielt". Am 18.4.10 war das Kondolenzbuch in dem schätzungsweise bereits 500-1000 Eintragungen eingegangen waren plötzlich geschlossen und auf der Seite war zu lesen:

"Kondolenzbuch beendet. Das angeforderte Kondolenzbuch kann nicht mehr angezeigt werden, da es auf Wunsch des Anmelders beendet bzw. vom Netz genommen wurde."

Anmelder dieses Kondolenzbuches war die Samtgemeinde Selsingen gewesen, die durchaus breit auf ihrer Homepage über die Trauer für die Soldaten berichtet hatte. (Die CDU hat im Rat von Selsingen eine 2/3 Mehrheit) . Mit der Sperrung der Seite mochte sich offensichtlich die Familie von Nils Bruns nicht abfinden. Kurz darauf am 19.4.10 war zu lesen:

"Kondolenzbuch beendet: Das angeforderte Kondolenzbuch der Samtgemeinde Selsingen für Hauptfeldwebel Nils Bruns (35), Stabsgefreiten Robert Hartert (25) und den Hauptgefreiten Martin Kadir Augustyniak (28) kann nicht mehr angezeigt werden, da es auf Wunsch des Anmelders beendet bzw. vom Netz genommen wurde. Hier finden Sie das Kondolenzbuch für HFw Nils Bruns. Es wird von der Familie betreut."

Die vielen - auch kriegskritischen Einträge sind damit verschwunden, da sie offensichtlich nicht in das neueingerichtete Kondolenzbuch übertragen werden konnten.

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>> Video-Kommentar von Georg Schramm zu den aktuellen Trauerreden

 

G. Schäfer
Workshop: Traumatisierung von Soldaten

Rastant zunehmende Zahl traumatisierter Soldaten

12.3.10 / Großen Aufwand muß die Bundeswehr betreiben, allein um den Überblick über die traumatisierenden Folgen militärischer Einsätze zu behalten. In den Bundeswehrkrankenhäusern Koblenz, Hamburg, Berlin und Ulm wurden in den letzten 10 Jahren ca. 1600 Soldaten und Soldatinnen mit postraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) behandelt.. Ein >>Bundeswehrfilm spricht von jährlich insgesamt 150 PTBS-Erkrankten die eines der Bundeswehrkrankenhäuser aufsuchen. Im Tagungsreader hingegen heißt es, dass allein im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg 2006/2007 126 PTBS-Patienten behandelt wurden. Allein aus dem Afghanistan-Einsatz hat laut Verteidigungsministerium eine Steigerung der Zahl traumatisierter Soldaten von 55 im Jahr 2006 über 130 in 2007 auf 226 im Jahr 2008 stattgefunden. Der Wehrbeauftragte wiederum schreibt von einer Verdreifachung der Fälle vom Jahr 2006 (83) bis zum Jahr 2008 auf (245), wobei die große Mehrzahl in Verbindung mit dem ISAF-Einsatz aufgetreten sei. Und in seinem Bericht 2009 schreibt er von "418 offiziell registrierte Soldatinnen und Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen" binnen nur eines einzigen Jahres. (nachträglich 17.3.10 eingefügt).
Die Zahlenangaben an anderen Stellen weichen evtl. deshalb deutlich voneinander ab, weil die unterschiedlichen Stellen in unterschiedlicher Weise den politischen Konfliktgehalt der Zahlen bewerten und sie dementsprechend realistisch oder geschönt darstellen. Die wirklichen Gesamtzahlen liegen mit Sicherheit noch höher als die offiziell genannten. Auch der Wehrbeauftragte schreibt in seinem Bericht 2008 von einer hohen Dunkelziffer.
Dazu kommt auch noch die Zahl derjenigen, die in zivilen Krankenhäusern behandelt wurden und jene, die bei niedergelassenen TherapeutInnen in Behandlung sind. Schließlich gibt es noch die Dunkelziffer jener Soldaten, die ohne Behandlung mit einer PTBS herumlaufen. Die Referenten konnten lediglich die oben genannte ungefähre Gesamtzahl von 1600 für den offiziellen Teil angeben, vermutlich dürfte die Zahl jedoch mindestens doppelt so groß sein.

Behandlung in der Psychiatrie des Bundeswehr-Zentralkrankenhauses
Flottillenarzt Dirk Preuße und OberStabsarzt (OSA) Tony Krause berichteten vom >>Bundeswehr- ZentralKrankenhaus in Koblenz über die Behandlung von Soldaten mit PTBS. Ihre Schilderungen aus der Praxis machten eindringlich die Gegenwart solcher Kriegsfolgen deutlich. Im Zentrum der Gefährdung stehen gegenwärtig die 4350 in Afghanistan eingesetzten deutschen Soldaten und 190 Soldatinnen (hinzu kommen noch 1500 KFOR Soldaten und 1000 Enfor-Soldaten). Mit dem Gestus eines Arztes, der beständig damit zu tun hat schilderte OSA Krause Erfahrungen in der PTBS-Therapie :
Nach der Rückkehr haben alle Soldaten erst einmal Schlafstörungen, die nach einigen Tagen weggehen sollten. Eine erhöhte Achtsamkeit und Schreckhaftigkeit (Hyperarousal) bleibt länger erhalten. Manche Soldaten entwickeln eine langandauernde Abneigung einen Rasen zu betreten, weil im Einsatzgebiet unter Rasen Minen sein konnten. Typisch ist auch, dass vorübergehend Menschenmengen gemieden werden, krankhaft wird es jedoch erst, "wenn sie gar nicht mehr rausgehen." oder wenn das Vermeidungsverhalten nicht nachlässt. Ein chronifizierter Verlauf geht einher mit sozialer Isolierung, häufig kommt Alkoholkonsum dazu . Ein anderer typischer Aspekt ist eine tiefgehende "Verbitterung". Die Soldaten fühlen sich z.B. alleingelassen und ungerecht behandelt, was vor allem bei Kosovosoldaten beobachtet wurde. Ein anderes häufig auftretendes Symptom sind "persistierende Albträume". Dabei geht es um Ängste, die nicht auf reale Ereignissen aufbauen sondern allgemeine Lebensängste darstellen.
Eine Besonderheit ist bei der Kampftruppe im Einsatz zu beachten: unter den extremen Bedingungen der Kampfsituation schweißt die Gruppe derart extrem zusammen, dass einzelne nicht mehr in der Lage sind auszusteigen, auch wenn sie merken, dass sie es nicht mehr packen. Sie wollen keinesfalls "die anderen im Stich lassen" . Die enge Verbundenheit der Gruppe führt auch dazu, dass beim Tod eines Gruppenmitgliedes die Mitsoldaten unter der "Überlebensschuld" leiden und denken sie hätten jemanden im Stich gelassen.
In der Therapie wird es oft erst einmal notwendig, dass die Soldaten-Patienten die "Abgabe von Kontrolle zulassen" und dass Emotionen zugelassen werden mit denen dann gearbeitet werden kann. Dazu dient z.B. "Emotionsarbeit/Musiktherapie". Auch ein Feldwebel hat erst einmal Probleme, wenn er in der Ergotherapie "Bildchen malen" soll, aber "nach einer Weile geht das dann auch". Ganz problematisch ist die Behandlung von Leuten aus Aufklärungstrupps, die immer mißtrauisch sein mußten und dann nach ihrer "Repatriierung" natürlich auch dem Therapeuten gegenüber hoch mißtrauisch sind. Einige Soldaten wollen überhaupt "keinesfalls im System" behandelt werden. Andererseits haben die freien TherapeutInnen oft keine Ahnung vom Militärischen und wissen deshalb oft nicht weiter. Auch in diesen Berichten wurde als "protektiver Faktor" die Bindung zu mindestens einer Bezugsperson betont. Die Ablehnung im Alltag durch Familie und soziales Umfeld hingegen als "Stressoren" herausgehoben. [An dieser Stelle sei kommentiert: dies genau macht deutlich, wie wichtig für die Bundeswehr die Sicherung der Legitimationsbasis an der "Heimatfront" ist ] .
Makaber wurde der Workshop, als aus dem Publikum die Frage nach den belastenden Folgen gefragt wurde, die dadurch entstehen, dass ein Soldat einen Menschen erschossen hat. Die Antwort war: "wenn sie jemanden erschossen haben spielt das kaum eine Rolle" aber die Angehörigen würden ihr Verhalten gegenüber den Personen ändern und sich zurückhalten. "Wir raten den Soldaten, es nicht zu erzählen, dass sie jemanden erschossen haben".

Bundeswehrkrankenhaus Berlin erforscht "alternative Heilmethoden"
Oberstarzt Dr. med. Peter Zimmermann, Leitender Arzt - Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin Seit 1.5.2009 gibt es das Traumazentrum auf dem Gelände des Berliner Bundeswehrkrankenhauses. Es ist dem Institut für medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr (IMAUS) angegliedert.
Zimmermann war 1997 – 1998 in Bosnien als Truppenarzt, 2003 mit der ISAF Afghanistan als Facharzt Psychiatrie und 2006 mit der KFOR im Kosovo. Er berichtete auf dem Workshop über "komplementärtherapeutische Verfahren". Erstaunlich, wie bei der Bundeswehr sämtliche Methoden alternativer ja esoterischer Heilmethoden im Bundeswehrkrankenhaus Berlin einer wissenschaftlichen Bewertung (Evaluation) unterzogen werden. Dazu gehören bereits erprobte Therapien wie Ergo- , Bewegungstherapie und Gestalttherapie, zunehmend alternative Methoden wie z.B. Akupunktur und Aromatherapie, energetische Psychotherapie bis hin zu "spirituellen Heilmethoden".
Die komplementären Verfahren hängen stark davon ab ob es gelingt, die Patienten zu einer Verbalisierung von Emotionen in engen Beziehungen zu bewegen und ihre sozialen Kompetenzen zu stärken. Zimmermann machte dabei die denkwürdige Unterscheidung von "Identität als Funktionsträger" (Soldat) im Unterschied zur Identität als Mensch!

Standardisierte Verfahren um den Überblick zu behalten
Um den Überblick zu behalten werden Screenings bei der Nachbereitung der Kampfeinsätze durchgeführt. D.h. die Soldaten werden auf Anzeichen für PTBS überlicksartig getestet. Hierzu gibt es standardisierte Verfahren z.B. der Kölner Risikoindex-Bw (KRI-Bw) . Die Truppenpsychologin Sybille Dunker stellte im Workshop die Weiterentwicklung dieses Verfahrens vor. (Ihre >>Dissertation dazu ist online im Netz) Mit weiterentwickelten V-KRI-Bw "wird ein Screeninginstrument zur Verfügung gestellt, das die Prognose der Entstehung einer PTBS-bezogenen Symptomatik nach traumatischen Erlebnissen in Auslandseinsätzen der Bundeswehr valide und zuverlässig prognostiziert." (Dunker)

Von 3000 Soldaten wurden während der Nachsorgeseminare nach den Einsätzen 650 Freiwillige zu einer ersten Untersuchung befragt. 49.4% gaben belastende Erlebnisse an, die als traumatisch eingestuft werden: Gefechte, Beschuss, Anschläge, Selbstmordattentäter versteckte Sprengfallen, Konfrontation mit Verletzten, Leichen oder Leichenteilen, Gewalt in der Bevölkerung und die Konfrontation mit Armut und Elend.

Beim Screening (nicht zu verwechseln mit Diagnostik!) nach dem Kölner Risiko Index werden u.a. folgende Punkte abgetestet:
Es fällt schwer, offen über das belastende Erlebnis zu sprechen
Gefühl, nicht Teil des Geschehens zu sein
Automatisches Handeln
Das Ereignis wurde als unwirklich erlebt
Probleme, sich in Zeit und Raum zu orientieren
Verändertes Körpergefühl
Gefühl, über dem Ereignis zu schweben
Bruchstückhafte, unvollständige Erinnerungen
Eingeschränkte Wahrnehmung
Das belastende Erlebnis trat überraschend und unerwartet ein
Dauer des Ereignisses länger als eine halbe Stunde
Erlebte Bedrohung für Leib und Leben
Erleben schwerer Verletzung und / oder Misshandlung
Beobachtete schwere Verletzungen und / oder Misshandlung
Erlebte Geiselnahme und / oder Gefangenschaft
Beobachtete Geiselnahme und / oder Gefangenschaft
Es kamen Personen zu Tode
Eigene bleibende körperliche Schäden
Konfrontation mit Leichen oder entstellten Körpern
Beteiligung an bewaffneter Auseinandersetzung / Kampfhandlung
Verursachung der Verletzung oder des Todes anderer

Da auch Einflußfaktoren und späterer Verlauf der Traumawirkung in einer Längsstudie untersucht wurden, konnte z.B. festgestellt werden dass "Ein Leben als Alleinstehender oder Geschiedener" ein deutlicher Risikofaktor ist. Das sonstige soziale Umfeld kann für eine Bewältigungsstratgie hilfreich sein. Auch die fehlende Identifikation mit dem Einsatz wurde als relevanter Risikofaktor identifiziert: "Die Frage nach dem Sinn des erlebten Leids oder des Todes von Kameraden im Rahmen eines als nicht sinnvoll erachteten Auslandseinsatzes verstärkt Gefühle von Wut und erlebter Ungerechtigkeit." (Dunker)

Materialhinweis:
>> Dossier in Wissenschaft und Frieden
>
> Bundeswehrvideo zu PTBS "Wenn die Seele schreit"