Fahrraddemo
zur mexikanischen Fussballmannschaft
Während
der Polizeibericht ganz harmlos daherkommt sieht das im Bericht des Veranstalters
ganz anders aus:
Polizeibericht:
anscheinend ganz harmlos
18.06.2006 - 16:27 Uhr Göttingen (ots) -
GÖTTINGEN (jk) - Unter dem Motto "Menschenwürde weltweit durchsetzten
- von unten für unten" sind am Samstagmittag (17.06.06) 32 Fahrradfahrer
und -fahrerinnen durch das Göttinger Stadtgebiet geradelt. Zu der Demonstration
hatten verschiedene Gruppierungen, darunter u. a. der Arbeitskreis Asyl,
aufgerufen. Begleitet von Einsatzkräften der Polizei bewegte sich der
Konvoi im Anschluss an eine kurze Auftaktkundgebung gegen 12.15 Uhr vom
Campus aus über verschiedene Straßen bis zur Jona-Gemeinde, wo die Veranstaltung
gegen 14.50 Uhr vom Versammlungsleiter für beendet erklärt wurde. Auf
dem Weg dorthin wurden an mehreren Stationen Zwischenkundgebungen u.a.
zu den Themen "Hartz IV", zur "Ausländerpolitik" und zur "Abschiebepraxis"
abgehalten.

Foto: P.Wolf / Polizei
in Grone-Süd beim Personaliensammelversuch weil von den RadfahrerInnen
zeitweilig eine Fahrbahn zu viel benutzt worden sei. (Bei massenhaften
Regelverstössen von Fussballfans im Straßenverkehr nach gewonnenen
Deutschlandspielen zucken sie nicht mal mit den Wimpern)
Bericht des Veranstalters:
Mexikanische Medien vermutlich erreicht
: die fahrraddemo 'menschenwürde weltweit durchsetzen - von unten
für unten' am letzten samstag hatte zwar lediglich bis maximal 50
Teilnehmende, hat aber recht wahrscheinlich den gewünschten Erfolg
- nämlich die Medienpräsenz in Mexico (und den Einsatz gleich
einer (oder zwei?) ganzen hundertschaft der polizei). es konnte zwar bislang
nicht überprüft werden, ob eine der größten fernsehanstalten
mexikos - televisa - das gemachte interview tatsächlich gesendet
hat, jedoch ist es ob der langweile der berichterstattung (mexikanisches
team im freizeit in, mexikanisches team beim training im jahnstadion,
mexikanisches team im freizeit in, ....) sehr wahrscheinlich. jedenfalls
wurde bereits über die soli-aktion für die mexikanischen aktivistInnen
der 'anderen kampagne' beim 'freundschaftsspiel mexiko- gö-regionalauswahl'
in den mexikanischen medien recht breit berichtet - so jedenfalls die
aussage eines mexikanischen journalisten.
Foto: P.Wolf / Mexikanisches Fernsehteam interviewt Fahrraddemonstrantin
zum konkreteren ablauf der demo: auf
dem campus war zunächst die möglichkeit gegeben, mittels pappe
und farben fahrradtaugliche schilder herzustellen. danach wurden über
die massiven repressionen der mexikanischen sicherheitsbehörden gegen
die aktivistInnen der sozialen bewegungen in mexiko informiert.
die im fahrradanhänger transportierte und mit funkmikro beschallte
anlage gab im weiteren verlauf aufschluss über das anliegen der demonstration.
dabei war festzustellen, dass sehr viele der derzeit in göttingen
weilenden mexikanerInnen sehr positiv auf parolen wie 'viva la ezln' und
'viva la otra' reagierten.
auf dem weg vom campus zum 'freizeit in' stoppte die demo jeweils kurz
zwischen 'jobcenter jugend' und spd-zentrale, am kreishaus und am polizeihauptquartier.dort
wurde jeweils in kurzen redebeiträgen die gegenwärtigen angriffen
auf die menschenwürde in der brd - durch hartz-gesetze , die rassistische
politik der brd (insb. die aktuell sich verschärfende abschiebepraxis)
und den gegenwärtig vielerorts - insbesondere durch polizeigewalt
durchgesetzten - festzustellenden sicherheitswahn hingewiesen.
beim 'freizeit in' erwartete die demonstrierenden ein großes polizeiaufgebot,
das selbst die geschenkübergabe (die plakate 'unser team für
die wm' und einen liebevoll genähten wimpel) durch eine kleine delegation
der demonstration nicht zuließ. es wurden jedoch redebeiträge
in spanisch und in deutsch (siehe anlage) u.a. zu den aktuellen vorfällen
in mexico gehalten, die von mexikanischen medien mitgeschnitten wurden.
das interesse der mexikanischen medien war generell recht groß und
so steht zu erwarten, dass das ziel der demonstration - in der mexikanischen
öffentlichkeit die forderung nach dem ende der staatlichen repression
gegen die friedlichen aktivistInnen der sozialen bewegungen zu benennen
und solidarische grüße aus göttingen zu übermitteln
- erreicht werden konnte.

Foto: P.Wolf / Protestaktion an der Polizeizentrale, Kasseler Landstraße
"gö-polizei überfällt
fahrraddemonstration"
im anschluß machte sich die
demo auf dem weg zum schlußort der veranstaltung.
auf dem kürzlich so benannten 'Jona-Platz' in grone sollte eine kurze
abschlußkundgebung mit zwei redebeiträgen zu den themen 'menschenwürde
und energie' und 'perspektiven des widerstandes' gehalten werden. dannach
war geplant, seitens des sehr gastfreundlichen und sehr besuchsempfohlenen
'netcafé', den teilnehmerinnen eine 'zapatistasuppe' nebst kaffee,
kuchen und kaltgetränken zu reichen.
dieses vorhaben wurde seitens der polizei jedoch zum teil unterbunden.
die friedlich vor das 'netcafé' radelnden demonstrierenden wurden
plötzlich von mehreren seiten durch diverse polizeitrupps angegangen,
die wegen angeblich ordnungswidrigen verstoßes gegen 'auflagen der
demonstration' ihre personalien zu protokoll geben sollten.
aus dem friedlichen kirchvorplatz und der einladung zur zapatistasuppe
im netcafé wurde plötzlich eine hoch angespannte situation
zwischen völlig überzogen auftretenen polizeikräften und
völlig überraschten friedlichen demonstrationsteilnehmerInnen.
in dieser situation wurde die demo seitens der veranstalterInnen aufgelöst,
da es ihr nicht gelang, die polizeiübergriffe zu unterbinden.
grund des polizeilichen übergriffs war allein
das zeitweilige nutzen beider fahrbahnspuren auf der kasseler landstraße
durch einige verantwortungsbewusste teilnehmerInnen, die eine gefährdung
anderer, weniger geübter, radfahrerInnen durch autos vorbeugend verhindern,
nicht aber generell den straßenverkehrs behindern wollten. dies
war, so die aussage der einsatzleitung der polizei, der grund für
die personalienfeststellung bei teilnehmerInnen der demo sowie eine strafanzeige
gegen den anmelder der demo.
der versuch des gastgebers am jonaplatz, dem vorsitzenden des göttinger
paritätischen, manfred grönig, die verhältnismäßigkeit
und angemessenheit der maßnahmen angesichts des besonderen schutzes
des demonstrationsrechts zu thematisieren und die vorzeitige beendigung
der demo ohne abschlusskundgebung als gegenleistung vorzuschlagen, scheiterte
an der bürokratischen sturheit der verantwortlichen einsatzleitung.
auch hinweise auf tolerierte grenzüberschreitungen und ordnungswidrigkeiten
durch fußballfans während und nach wm-übertragungen, wie
beispielsweise das verkehrswidrige und offensichtlich zudem verkehrsgefährdende
kollonnenrasen mit nationaler beflaggung und extremlärm bis in die
frühen morgenstunden auf der gleichen kasseler landstraße reichte
nicht aus, um die polizeiführung zum verzicht auf die anzeige gegen
den anmelder und die personalienfeststellung bei demoteilnehmerInnen zu
bewegen.
manfred grönig abschließend zur einsatzleitung und zur demoleitung:
"Hier besteht offenbar ein Nachschulungsbedarf bei der verantwortlichen
Polizeiführung, um zukünftig in derartigen Situationen verhältnismäßig
und angemessen zu reagieren. Vielleicht sollten wir einmal eine externe
Bildungsmaßnahme für Mitarbeiter der Polizei und potentielle
Demo-Leitungen und –Ordner anbieten?"
die demo-leitung begrüßte diesen vorschlag ausdrücklich,
insbesondere für die beteiligten offensichtlich überforderten
und autoritätshörigen polizistInnen - zumal das auftreten der
polizei gerade im zentrum von grone-süd von vielen kindern und familien
auf dem jonaplatz und von den balkonen drumherum beobachtet wurde.
peter wolf, einer der veranstalter: "Hier hat die Polizei ohne Not erneut
der Verfassung, insbesondere dem Demonstrationsrecht, einen schweren Schaden
zugefügt. Auf dem Jona-Platz spielende Kinder fragten, 'ob der eine
mit dem grünen T-Shirt ein Mörder' sei und wir mussten erklären,
dass er nur die Fahrspur gewechselt hat.... Das Verhalten der Polizei
spricht jedenfalls Bände über ihr gebrochenes Verhältnis
zur Menschenwürde."
die polizeilich in grone-süd verbreitete angst durch ihren martialischen
auftritt, die bestätigung, dass in grone die polizei gleich massenhaft
und hochgerüstet auftreten muss, die kriminalisierung friedlicher
demonstrierenden, die das ehrenwerte ziel hatten, auf menschenrechtsverletzungen
in der bundesrepublik und in mexiko hinzuweisen - dieses ist verabscheuungswürdig
und liegt in der verantwortung der polizeilichen einsatzleitung. es ist
nicht hinzunehmen und die veranstalterInnen der demo prüfen derzeit
rechtlich schritte gegen die göttinger polizei.
nachzutragen ist, dass der polizeilich verhinderte redebeitrag zu 'energie
und menschenwürde das thema uranabbau zum inhalt hatte. ein sprecher
des anti-atom-plenums hätte gesagt: "70% der Uranvorkommen liegen
auf Gebieten mit indigener Bevölkerung. Von multinationalen Konzernen,
so auch Siemens, wird eine Verseuchung von Mensch und Umwelt durch strahlende
Abraumhalden billigend in Kauf genommen. Es gilt, die Atomspirale in ihrem
Anfang zu bekämpfen - das Uran muss in der Erde bleiben. Basta!".

Foto: P.Wolf / Fahrraddemo am Freizeit-Inn
redebeitrag vorm 'freizeit in' dem Quartier der mexikanischen Fußballmannnschaft
Hallo, wir sind hier um dem mexikanischen Fußballteam einen Wimpel
mit solidarischen Grüßen zu überreichen und um unsere
Perspektive auf Mexiko und Deutschland zu erklären. Unsere Demonstration
hat das Motto: "Menschenwürde weltweit durchsetzen – von Unten
für Unten".
In Mexiko wird es Anfang Juli Präsidentschaftswahlen geben. Wahlen,
die für die Menschen, die an Wahlen glauben, Veränderung versprechen.
Außerdem gibt es die andere Kampagne an der mehr als 1000 Gruppen
und Organisationen aus ganz Mexiko teilnehmen, die nicht länger an
diese Veränderung glauben. Es sind jene von Unten und von Links –
es ist eine Stimme derer, die keine Stimme haben. Sie gehören keiner
Partei an und wollen keine politische Macht. Aber sie wollen z.B. ein
Dach über dem Kopf, Gesundheitsversorgung, Nahrung, Freiheit und
vor allem Menschenwürde.
Unsere Solidarität gilt ihnen, und den Frauen der Anderen Kampagne,
die vergewaltigt wurden, denen, die immer noch im Knast sitzen und denen,
die getötet wurden – in Atenco und aktuell in Oaxaca.
Wir fordern Gerechtigkeit für die Opfer und dass die ausführenden
Polizisten und die auftraggebenden Autoritäten zur Verantwortung
gezogen werden.
Was haben wir mit den AktivistInnen der Anderen Kampagne gemeinsam? Zum
einen ist dies die Kritik an dem System, welches Kapitalismus oder Neoliberalismus
genannt wird und welches sich für die Menschen in dem Zwang zur Arbeit
darstellt und sie in einem Leben ohne Leben läßt, wo Würde
keinen Platz hat. Zum anderen ist es die Kritik am Nationalismus, der
einige einschließt und andere draußen, hinter den Grenzen
läßt. Nationalismus, wie er zur Zeit der Fußballweltmeisterschaft
sich noch verstärkt und die Menschheit unter Definitionen und Identifikationen
separiert.
Unsere Frage ist: Warum ist ein Leben in Konkurrenz zwischen Nationen
und Personen fortschrittlicher als ein Leben in Soidarität? Ja, wir
wollen Fortschritt: In der Medizin, in der Kommunikationstechnologie etc.
– Aber alles für alle und nicht nur für Leute mit einem Haufen
Geld. Wo ist der Fortschritt in Mexiko, wenn indigene Kinder an Durchfall
sterben? Wo ist der Fortschritt in Deutschland, wenn alte Menschen nicht
genug Pflege bekommen, weil das Pflegepersonal keine Zeit hat, sondern
nur den Körper am Leben erhält?
Wir wollen Fußball spielen und unsere Lieblingsteam gewinnen sehen.
Aber es gibt eine schlechte Verbindung zum Nationalismus, wenn meine Freundin
aus Chile von Fans mit deutscher Flagge zugerufen bekommt: "Deutschland
den Deutschen, Ausländer raus!" Und dies ist nur ein Beispiel
der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus, neben der Homophobie und dem
Sexismus vieler Fans.
Laßt uns Fußball als ein Fest feiern, aber uns nicht vormachen,
dass die Welt zu Gast bei Freunden ist.
Foto vom Plakat, das für die EZLN während der Fussballweltmeisterschaft
wirbt
"Die EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional, deutsch
"Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung"), ist eine indigene Guerillaorganisation
in Chiapas, einem der ärmsten Bundesstaaten Mexikos, die am 1. Januar
1994 mit einem bewaffneten Aufstand erstmals öffentlich in Erscheinung
trat und sich seitdem mit politischen Mitteln für die Rechte der indigenen
Bevölkerung Mexikos, aber auch generell gegen neoliberale Politik einsetzt.
Der Name ist eine Referenz an Emiliano Zapata, einen der historischen
Führer der mexikanischen Revolution, in dessen Tradition sich die EZLN
sieht. Daher werden sie auch Zapatistas (oder in Deutschland "Zapatisten")
genannt. " WIKIPEDIA
Jeden Tag werden MigrantInnen und Obdachlose
Opfer von Aggressionen in den Straßen dieses Landes. Es sind keine
Ausnahmen und alle wissen das. Deshalb wollen wir sagen – ohne Heuchelei:
Willkommen in Göttingen und viel Glück beim näxten Spiel.
Wir haben diverse Orte besucht und vor Ort die Angriffe auf die Würde
von Menschen benannt. Ganz besonders hoffen wir, die mexikanischen AktivistInnen
unterstützt zu haben.
Aber was ist mit uns?
Das Bestehende ‚Weiter so’ kann es jedenfalls nicht sein.
Es stellt sich dann aber die Frage, was denn die Alternative wäre.
Zunächst ist meines Erachtens die Frage zu stellen, was Menschen
denn tatsächlich brauchen, um ein glücklicheres, ein besseres
Leben zu führen.
Der neoliberal verordnete Krieg ‚jeder gegen jeden’ kann es, angesichts
steigender Verarmung, angesichts gerade unter Kindern und Jugendlichen
zunehmenden psychischen Erkrankungen, angesichts allgemein steigender
Angst und Entmutigung, wohl offensichtlich nicht sein. Es macht eben unglücklich,
als kleiner individueller Standort allein für sich den möglichst
großen Standortvorteilen nachzujagen.
Weiter wäre zu fragen, was die alternative gesellschaftliche Organisationsform
sein kann. Die derzeitige gesellschaftliche politische Organisation, die
der parlamentarischen Demokratie, hat jedenfalls ganz offensichtlich versagt.
Es bestehen berechtigte Zweifel, ob sie überhaupt in der Lage ist,
grundsätzlich einen Bruch mit der Systemlogik herzustellen.
Allerspätestens die Entwicklung der Grünen innerhalb von gut
20 Jahren von einer Partei, die u.a. aus den sozialen Bewegungen Antiatom
und Frieden entstand, hin zu einer Partei der Besitzstandswahrung der
Atomindustrie und der Kriegsbefürwortung, sollte die Hoffnung auf
parlamentarisch zu erreichende Verbesserungen nachhaltig stören.
Ob cdu/fdp, spd/grüne, cdu/spd oder aktuell in Berlin spd/pds – es
ist kaum noch zu unterscheiden welche Parteien gerade regieren. Ihr Credo
ist letztlich immer die Verbesserung des bestehenden Systems. Sie verkennen
ganz offensichtlich bislang die Begrenztheit eines Prinzips, das auf Herrschaft
basiert.
Und diejenigen, die unter Demokratie ‚Herrschaft des Volkes’ verstehen,
seien darauf hingewiesen, dass nicht nur der Volksbegriff ein problematischer
ist, sondern dass auch die parlamentarische Demokratie letztlich nichts
anderes ist, als eine Methode. Nämlich die Methode zur Auswahl der
Herrschenden auf Zeit mittels Wahl.
Das ist schon deutlich besser als die Auswahl der Herrschenden durch Geburt
oder Putsch, aber dass es der Weisheit letzter Schluss ist, kann wohl
ernsthaft bezweifelt werden. Im Gegenteil sind mir die, die letztlich
nur das herrschende Personal austauschen wollen, ziemlich suspekt.
Aber welche Form der politischen Gesellschaftsgestaltung kann denn stattdessen
greifen? Welche Form der Gesellschaftsgestaltung kann denn auf Herrschaft
verzichten?
So unbequem es sein mag, ich denke, die Gestaltung unserer Zukunft können
wir nicht delegieren. An wen denn auch? An die Politik? Da sehen wir doch,
was wir davon haben. An die kommunale Bürokratie, die längst
die eigene Beschränktheit erkannt hat und letztlich nicht anders
kann, als allerorts ‚zu sparen’ und zu verwalten? Das haut wohl auch nicht
hin.
Ich meine, dass es stattdessen gilt, die Gestaltung unserer Leben selbstorganisiert
in die Hand zu nehmen. Selbstorganisiert heißt dabei jedoch nicht,
jede für sich – das wäre Selbstmanagement –, sondern selbstorganisiert
heißt, gemeinsame Auseinandersetzungen um das, was sinnvoll ist,
zu führen. Im Betrieb, in der Nachbarschaft, im Stadtteil, in der
Schule oder im Elternrat von Kindergärten... Eben überall dort,
wo Menschen zusammenkommen.
Dass dabei die Vielfalt der Beteiligten keine Schwäche sein muss,
sondern im Gegenteil eine Stärke sein kann wird sich beweisen müssen.
Dazu ist jedoch vielerlei notwendig. Vielleicht am wichtigsten ist, dass
wir aufhören, uns gegenseitig die letztlich doch lediglich individuellen
‚Wahrheiten’ als allgemeingültig um die Ohren zu hauen. Wir alle
haben unsere jeweilige, individuelle ‚Wahrheit’. Hier gilt es, in eine
von Respekt und gegenseitiger Wertschätzung geprägte Auseinandersetzung
einzusteigen.
Was könnte das Fazit für die kommenden sozialen Kämpfe
sein? Ich meine folgendes:
1. Wir alle haben die individuelle Wahl: Wollen wir am sozialen Programm
der Herrschaft oder am sozialen Programm der Befreiung mittun. Das ist
die Scheidelinie. Und es ist eine immer wieder zu treffende Entscheidung.
Niemand von uns ist davor gefeit, in Verhaltensweisen der Herrschaft zurückzufallen
und andere gegen ihren Willen zu sozialer Kooperation zu zwingen.
2. Die Menschen, die auf der Seite der Befreiung von Herrschaft, also
der Seite der Emanzipation kämpfen wollen, sollten sich bewusst sein,
dass die Sache der Emanzipation eine umfassende ist. Sie betrifft Köpfe
und Herzen.
3. Wir können nur dann Erfolg haben, wenn wir unsere Anliegen und
Vorhaben in gegenseitigem Respekt und mit gegenseitiger Wertschätzung
gemeinsam entwickeln.
4. Um Erfolg zu haben müssen wir Zusammenhänge bilden, müssen
wir uns organisieren. Nicht in der einen Großorganisation sondern
in tausenden von Gruppen. Aber natürlich mit der Bereitschaft zur
gruppenübergreifenden Zusammenarbeit.
5. Wir sollten akzeptieren, dass wir nicht die fertigen Lösungen
haben. Das ist aber auch nicht schlimm, denn alle die ‚fertige Lösungen’
haben sollten mit großer Vorsicht betrachtet werden. Stattdessen
gilt einer der Wahlsprüche der EZLN ‚Fragend schreiten wir voran’.
Sicher gäbe es noch vieles weitere zu benennen und herauszufinden.
Lasst es uns angehen. Wer sonst sollte damit beginnen, wenn nicht wir.
Für eine Welt, in der viele Welten möglich sind.
anlage 1: hartz und menschenwürde:
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich spreche hier als Einzelperson, als lediglich einMitglied der AG Menschenwürde
im Göttinger Sozialforum.
Wir stehen hier zwischen der Göttinger Zentrale der spd und einem
der Orte, an dem die Regelungen von Hartz4 direkt exekutiert werden –
einem Ableger des so genannten ‚Jobcenter Jugend’. Das ist eine durchaus
stimmige Nachbarschaft.
Könnt Ihr euch noch daran erinnern, wie das so genannte "Asylbewerberleistungsgesetz"
eingeführt wurde? Damals wurde mit den Flüchtlingen die erste
Gruppe aus der allgemeinen Sozialhilfe herausgenommen und mit Leistungskürzungen
versehen. Das war 1993. Dass Sozialhilfe damals definiert war, als das,
was ein Mensch zum Führen eines menschenwürdigen Lebens zwingend
braucht, hat die damals Verantwortlichen nicht geschert. Und wie so oft,
wurde an den Schwächsten der Gesellschaft, den Flüchtlingen,
vorexerziert, was später andere trifft.
Wenn wir hier an einem der Ableger des ‚Jobcenter Jugend’ stehen, dann
ist wieder festzustellen, dass die Verantwortlichen des politischen Disasters
erneut eine Gruppe besonders ins Visier nehmen – diesmal Erwerbslose unter
25.
Ich denke, es ist Euch bekannt, dass Erwerbslose unter 25 mit Inkrafttreten
des – wie heißt es so schön – ‚Hartz4-Optimierungsgesetz’ –
keinen Anspruch mehr auf ‚Kosten der Unterkunft’ gewährt bekommen.
Sie sollen eben zu Hause wohnen bleiben. Mama und oder Papa werden es
schon richten.
Dass die Jugendlichen dabei letztlich der Testballon sind, größere
Kreise der Bevölkerung weiter zu entrechten, ist hoffentlich allseitig
klar.
Und dass diese so genannte "Stallpflicht" einen Angriff auf
sogar grundgesetzlich verbriefte Rechte – das der Freizügigkeit –
darstellt, ist den politisch Verantwortlichen ebenso egal, wie damals
1993 die Einschnitte in die Menschenwürde der Flüchtlinge.
Auf die vielen anderen menschenunwürdigen Unverantwortlichkeiten
und Unverschämtheiten der Hartz-Gesetze wie z.B. Zwangsumzüge,
massive Drohungen, sich zusehends verschärfenden Sanktionen mit massiven
Leistungskürzungen, die Weisung an alle Hartz-Behörden, SozialschnüfflerInnen
einzusetzen usw. usf. will ich an dieser Stelle gar nicht eingehen.
Auf jeden Fall sollten sich alle, die in die Mühlen der Hartz-Gesetzgebung
geraten, gut informieren und sich auch beraten lassen.
Festzustellen ist jedenfalls generell, dass
die liberalen Bürgerrechte nicht mehr für Alle gelten sollen.
Die gegenwärtig herrschende Politik verfügt die Entrechtung
immer weiterer Kreise der Bevölkerung. Nämlich jenen, die im
realexistierenden System der Profitmaximierung nicht mehr gebraucht werden.
Diejenigen, die für Profiterwirtschaftung schlicht überflüssig
geworden sind.
Dass die herrschende Politik dabei den Sozialterror von oben mit permanenter
Propaganda flankiert, es gebe ‚Fehlanreize durch überhöhte Leistungen’
und ‚massiven Leistungsmissbrauch’ mag wenig verwundern. Die herrschende
Politik ist eben die Politik der Herrschenden.
Aber die MachthaberInnen haben auch Angst. Das zeigt das Beispiel der
Wiedereinführung des Blindengeldes durch die niedersächsische
Landesregierung. Aus Angst vor dem Erfolg des laufenden Volksbegehrens
machten sie mal eine Ausnahme bei ihrem sonst so unumstößlichen
Spardiktat und handelten einen Kompromiss aus. Das dieser durch die VertreterInnen
der Blinden und Sehbehinderten angenommen wurde ist dabei ambivalent aber
verständlich.
Es wäre verfehlt, zu konstatieren, dass die gegenwärtigen Machthaberinnen
und Machthaber im politischen System besonders schlechte Menschen seien.
Vielleicht ist die Arschlochrate bei ihnen besonders hoch, aber letztlich
sind sie doch nur Charaktermasken, sind sie nur RollenträgerInnen
und völlig in ihren Rollen verfangen.
Wie tief die Akteurinnen und Akteure der Politkaste dabei sinken können,
zeigte unlängst der aktuelle Bundesvorsitzende der spd. Der heißt
gegenwärtig gerade Kurt Beck.
Was bewegt einen Menschen wie Beck angesichts der derzeitigen Situation
dazu, an die Moral der Hartz4-EmpfängerInnen zu appellieren, sie
sollten sich der von ihnen ausgehenden Belastung für die Gesamtgesellschaft
bewusst sein und auf mögliche Leistungen verzichten? Im Wettbewerb
um den größten Arsch im ganzen Land war das jedenfalls eine
durchaus ernst zu nehmende Kandidaturansage.
Die Politiker und Politikerinnen sind – natürlich nicht nur sie allein
– sie sind Trägerinnen und Träger eines sozioökonomischen
Systems, in dessen Logik die gegenwärtige Politik durchaus zweckrational
ist.
Der alte Spruch "Das System hat keine Fehler, es ist der Fehler"
beweist seine Gültigkeit Tag für Tag mehr. Jedenfalls aus Sicht
der Menschenwürde.
So wie es ist, kann es schon weitergehen. In England sitzen die Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen der Sozialverwaltung bereits hinter schusssicherem
Glas und die Wahlbeteiligung bei den Wahlen kann natürlich auch noch
weiter sinken – es sei daran erinnert, dass der außerordentlich
unfähige Göttinger Oberbürgermeister Danielowski gerade
mal mit 15% die letzte OB-Wahl ‚gewonnen’ hat.
Es kann aber auch anders weitergehen.
Als erstes steht dabei die Verweigerung. Klar sind wir alle in Zwängen
verfangen. Aber es zwingt uns niemand, die bestehenden Regeln im Denken
und Fühlen zu akzeptieren. Es zwingt uns niemand, darauf zu verzichten,
uns zu Zusammenhängen, zu Gruppen, zu Banden zusammenzuschließen.
Nichts kann uns daran hindern, uns gemeinsam für ein besseres Leben
einzusetzen, die herrschenden Zustände abzulehnen und gegen sie zu
kämpfen.
Und selbst die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern können
daran mitwirken. Dass zeigte unlängst ein Streik der französischen
Beschäftigten der Arbeitsverwaltung, der am letzten Dienstag stattfand.
Dieser Streik, an dem sich gut ein Viertel der Beschäftigten beteiligte,
richtete sich insbesondere gegen die Entwicklung der Behörde zu einem
Druck-, Kontroll- und Geldsperr-Instrument
Ok, die Chancen auf Erfolg erscheinen gegenwärtig nicht allzu groß.
Aber eine Alternative gibt es nicht. Entweder verteidigen wir die Menschenwürde
oder sie wird vernichtet. Und wir dürfen nicht vergessen: Wir sind
dabei nicht allein. In allen Kontinenten, in allen Ländern erheben
sich Menschen und sagen laut und deutlich Nein zum Bestehenden.
In diesem Sinne, lasst uns viele Gruppen bilden, uns zusammenschließen
und die herrschende Ordnung auch hier in Göttingen zum Tanzen bringen.
Fight the power – Alles für Alle.
zum
Anfang
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