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Performance Lauren Huret „Relaxing Data“
Kunstverein Göttingen zu Gast
beim Kulturzentrum KAZ e.V. am 6.11.19

Günter J. Schäfer
Körper versus globales Netz

Entspannt werden

Als Besucher der Performance wurde man beim Eintritt in den Raum durch die Ausstattung überrascht. Es lagen die roten Matten der Yoga-Kurse aus dem KAZ aufgereiht. Die Teilnehmer*innen der vorhergehenden Performance in deutscher Sprache erhoben sich von den Matten, wirkten etwas in sich gekehrt oder auch benommen. Nun verteilten sich die Teilnehmer*innen der nächsten Gruppe auf die Matten. Als Kopfstütze lag jeweils ein Kissen bereit, auf dem das Motiv der Performance aufgedruckt war: ein Mensch relaxed im Liegesessel, eine Auflistung der Jahre 1984 bis 2019 in der Hand haltend. Für diese Jahre sollten dann die technischen Entwicklungen von Computer und Internet sowie global wichtiger Ereignisse benannt werden. Nachdem sich die neue Runde der Teilnehmer*innen also niedergelassen hatte, gab die Künstlerin noch einzelnen Teilnehmer*innen Hinweise zum Einnehmen einer entspannten Haltung und den Ratschlag sich evtl. mit einer Jacke zuzudecken, damit man sich wohlig fühle. Nun wurde der Raum abgedunkelt, Tance-Musik setzte ein, in das Auf- und Abrauschen der Sounds mischte sich dann die Stimme der Künstlerin. Sie begann zunächst die Teilnehmer*innen zur Wahrnehmung ihres Körpers hinzuführen, um in einen Zustand der Entspannung zu kommen.

Entspannt bleiben

Dann begannen nach Nennungen der jeweiligen Jahreszahl die eingestreuten Hinweise auf die globale Entwicklung der Computertechnologie, der Ausdehnung der Computernetze, des Internets, die Starts verschiedener social-media-Plattformen, Entwicklungsdaten von Google, Apple und Microsoft, die Zahlen der Internet-User, Handy- bzw. Smartphonebesitzer*innen. Aber auch markante Daten wie der Crash des World Trade-Centers am 11.9.2001, der Krieg in Afghanistan, die Reaktorkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima oder Naturkatastrophen wie das Seebeben und der Tsunami auf Sumatra. Abwechselnd zu den Schritten von Jahr zu Jahr in der Zeitreise folgte eine Anleitung zur schrittweisen Konzentration auf einzelne Körperbereiche, um die körperliche Entspannung auszuweiten: Von den Zehen, zu den Beinen, zum Bauch, über Lunge, Rücken Arme Finger, bis Kopf, Mund, Zähne, Gehirn.

Die Konzentration auf den Körper einerseits und die dosierte Erinnerung an gesellschaftliche Tatsachen und Entwicklungen im globalen Maßstab führten zu widerstreitenden Gefühlsimpulsen. Wer an Tsunamis und Tschernobyl oder den Einsturz des World Trade Centers dachte, sollte sich entspannen, eine ruhige Atmung haben, die Wärme seines Rückens fühlen oder die Schwere seine Körpers auf der Unterlage spüren. Wer die Stimme der Künstlerin sagen hört, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt 1 Milliarde Menschen das Internet nutzten, Instagram entstand, Youtube, Facebook, Amazon usw., sich massenhaft ausbreiteten, dem konnte es schon schwer fallen, gleichgültig entspannt zu bleiben.

Warum machte die Künstlerin das, treibt die Teilnehmer*innen in diesen Widerspruch? Sie spricht in Interviews vom Mißtrauen gegen das Netz und von der Paranoia. Auf ihrer Webseite steht: „I don't put much of my things on my website, because I don't trust the Internet, neither you. Sorry”.. Sie will keinesfalls, dass ein Bild von ihrem Gesicht im Netz erscheint und als am Ende der Veranstaltung jemand ein Foto von ihr machen will, hält sie sich eines der Ruhekissen vors Gesicht. Wenn man so denkt und fühlt, muss man sich schon anstrengen entspannt zu bleiben, wenn man sich gleichzeitig den rasanten Fortschritt in der Ausbreitung eben jener Technologie klar macht.

Körper - das menschliche Rückzugsgebiet

Die bewußte Entspannung kann hilfreich sein beim Versuch, der Hilflosigkeit und Angst zu entgehen, die gegenüber einer allmächtigen, weltumspannenden Vernetzung entsteht. Die Konzentration auf den Körper ist ein Rückzug auf das letzte eigene Refugium, eine Möglichkeit sich abzugrenzen, wäre da nicht die Tatsache, dass das Gehirn, dass die Sprache, dass die Kommunikation, dass die sozialen Verbindungen des Körper-Besitzers bereits hoffnungslos dem Netz ausgeliefert sind. Sinnbildlich hierfür sei daran erinnert, dass Jugendliche ohne Smartphone sozialen Einsiedler*innen auf einer einsamen Insel gleichen, da alle Kontakte über dieses Medium laufen.

Die Rückführung auf den Körper in dieser Performance ist ein radikales wichtiges Statement, ist die radikale Rückbesinnung auf die entscheidende Innovationsbasis für eine menschliche Entwicklung.

Verteidigung gegen die Maschinen-Enthusiasten

Im krassen Unterschied dazu gibt es gewichtige und gefährliche Propagandisten wie der Performance-Künstler Stelarc . Er stellt  ebenfalls den Körper ins Zentrum seiner Performances aber gerade nicht als zentralen Orientierungspunkt für eine menschliche Entwicklung und soziale Innovationsbasis. Stelarc will nur zeigen, dass der menschliche Körper obsolet ist. Er propagiert den Cyborg als positive Weiterentwicklung des Menschen, die Verschmelzung von Mensch und Maschine; die Mensch-Maschine-Schnittstelle so Stelarc müsse nicht außerhalb des Körpers liegen, sie könne in den Körper hineinverlegt werden. Und einflußreiche Wissenschaftler wie Marvin Minsky  oder gar auf noch radikalere Weise Moravec propagierten die Ablösung der Menschen durch intelligente Maschinen. Visionen wie die Auflösung des Körpers und die Fortexistenz menschlichen Geistes in der Maschine wurden auch visualisiert in Filmen wie „The Lawnmower Man“ (siehe Artikel in goest) der sich körperlich in Informationsbestandteile auflöst und ins Netz überträgt (>Finale Filmszene)

Bereits in den 1990er Jahren (irrtümlich stand hier zunächst 2004) nach den Medienartfestivals EMAF (Osnabrück) und  DEAF (Rotterdam) konnte man sich angesichts der dortigen Themen fragen : „What should be the future of mankind. Will we furtheron save our identity as human beings closely linked to a human body or do we believe in a transformation of human structures into a higher level of artificial machine world." Den Link zu unserem Körper können wir jedenfalls nur erhalten, wenn wir ihn überhaupt (wieder) wahrnehmen. Das ist wohl die Antwort die u.a. in dieser Performance steckte auch wenn die Künstlerin eher das Thema hilflose Angst vor unbeherrschbarem Netz versus körperlicher Entspannung im Fokus hatte.