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Skandal um Vortrag von Prof. Arnd Krüger

7.6.08 / Vom 19. bis 21. Juni 2008 fand am Institut für Sportwissenschaften der Georg-August-Universität Göttingen die Jahrestagung der Sektion Sportgeschichte der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft statt. Das Thema war "Sportgeschichte erforschen und vermitteln" . Der Direktor des Sportinstituts an der Universität Göttingen Prof. Dr. Arnd Krüger hielt während dieser Tagung einen Vortrag mit dem Titel "Hebron und München. Wie vermitteln wir die Zeitgeschichte des Sports, ohne uns in den Fallstricken des Antisemitismus zu verhaspeln?". Es handelte sich dabei um einen 20 minütigen Powerpoint-gestützten Vortrag in freier Rede.

Kritik in der Radiosendung des Deutschlandfunks

Einen Tag nach der Tagung am 22.6.08 sendete der Deutschlandfunk einen Beitrag von Michael Barsuhn unter dem Titel "Verhöhnung jüdischer Opfer – Skandal bei deutschen Sporthistorikern". Michael Bahrsuhn hatte übrigens 2006 bereits eine Radiosendung mit dem Titel "Das Olympia-Attentat von München 1972 - Fakten und Fiktion"gemacht (gesendet 29.1.06) also zum gleichen Thema wie der Vortrag von Arnd Krüger..
In seiner Sendung am 22.6.08 nun war Norbert Gißel mit einer Stellungnahme zu der Tagung zu hören. Gißel ist Oberstudiendirektor und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Giessener Uni. In der Sendung äußert Norbert Gißel im O-Ton folgende Kritik an Arnd Krüger:
"Naja er hat gesagt, die jüdischen Sportler hätten gewußt, dass es ein Attentat geben werde, sie seien freiwillig in den Tod gegangen für eine größere jüdische Sache und das ist eine These, die wie gesagt durch keinerlei Quellen zu belegen und die schlichtweg absurd ist und letzendlich ist das für mich eine Verhöhnung der Opfer".
"Dieser Beitrag war ein Skandal, der hatte mit Wissenschaft nichts zu tun, ohne jede seriöse Quellengrundlage wurde hier eine Räubergeschichte konstruiert, eine antijüdische Räubergeschichte, eine Verschwörungstheorie und es ist aus meiner Sicht auch ein Skandal, dass auf einer wissenschaftlichen Tagung einem solchen Vortrag ein Forum geboten wird."
"Das ist ein Fall der in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft in dem Vorstand, in der Ethikkommission, auf jeden Fall nochmal intensiv diskutiert werden muß."

Unter journalistischen Gesichtspunkten fiel auf, dass Prof. Arnd Krüger keine Gelegenheit gegeben wurde zu den Vorwürfen in der Sendung Stellung zu nehmen.

Stellungnahmen von Arnd Krüger

3.7.08 fragte die taz Arnd Krüger "Wie kommen Sie denn auf Ihre These?"
Krüger. "Hana Shezifi, eine israelische Läuferin, mit der ich befreundet war, hatte mir damals gesagt, dass sie über Nacht aus dem Olympischen Dorf ausgezogen war, weil es ihr zu heiß wurde. Meine Frage ist nun, warum sind elf Sportler geblieben? Große Teile des israelischen Teams wurden in Privatwohnungen untergebracht. Warum diese Elf nicht?"

Stellungnahme Arnd Krüger 30.6.08 "Als Zeitzeuge, der vier Mitglieder der israelischen Mannschaft persönlich kannte (darunter einen der Ermordeten) und der seine Gefühle in der Sache unmittelbar nach dem Attentat auch in einem Nachruf für die Zeitschrift Leistungssport wiedergegeben hat, treibt mich die Frage um, was damals eigentlich wirklich passiert ist. Dazu ist die Erforschung des Kontextes erforderlich. Meine Betroffenheit über die Situation, wie ich sie damals ausgedrückt habe, hat sich bis heute nicht verändert, deshalb habe ich in dem Vortrag auch meinen damaligen Nachruf in der Power-Point-Präsentation gezeigt."

Stellungnahme Arnd Krüger 2.7.08 "Bei meinem Referat in Göttingen habe ich eine Fülle von möglichen Erklärungen angesprochen, aber ich habe zu keiner Zeit vom "Opfer-Tod" der israelischen Sportler gesprochen. Natürlich sind Ermordete "Opfer", aber sie haben sich deshalb noch nicht "geopfert". Ich habe in dem Referat darauf hingewiesen, dass man bei allen Fragen an die Situation nicht vergessen darf, dass Mörder Mörder und Ermordete Ermordete sind. Ein entsprechendes Interview habe ich auch bereits Ha'aretz und anderen gegeben"

Wissenschaftliche Nachforschungen zum Attentat noch immer ein "heisses Eisen"?

Die Ereignisse um das Attentat 1972 in München sind immer noch ungeklärt und eine "wissenschaftliche" Aufklärung muß auf große Schwierigkeiten treffen, wenn es stimmt, was Susanne Härpfer in ihrem Artikel in der Online-Zeitschrift Telepolis über die Zeit nach dem Attentat geschrieben hat. "Nach Angaben der Anwälte der Opfer verschwanden acht Leitz-Ordner Ermittlungsakten des Landeskriminalamts, drei Skizzen und fünf Fotomappen. Weitere Protokolle, Bandmitschriften und Dokumente sollen mit der höchsten Sperrfrist belegt sein, die sonst nur für Regierungsgeheimnisse gelten: 48 Jahre" . "(...) Immerhin fahndeten die Münchner Anwälte der Angehörigen vergebens nach Akten, die das Organisationskomitee für die Olympischen Spiele betreffen - sie waren verschwunden. Nicht die einzigen Unterlagen, die verschwunden waren."

Prof. Arnd Krüger schrieb in seiner Stellungnahme vom 3.7. er wollte prüfen "ob bei vermeintlich abgeschlossenen Forschungsgegenständen durch eine veränderte Perspektive über die Hinzuziehung von Zeitzeugen neue Erkenntnisse gewonnen werden könnten."

Welle der Kritik

Hendry Broder Weltwoche 3.7.08 "Seine Kollegen trauten ihren Ohren nicht, als Krüger seine Version des Anschlags vor ihnen ausbreitete. Er habe gesagt, erinnert sich ein Teilnehmer der Tagung, "die jüdischen Sportler hätten gewusst, dass es ein Attentat geben werde, sie seien freiwillig in den Tod gegangen für eine größere jüdische Sache", Krügers Beitrag "war ein Skandal, der mit Wissenschaft nichts zu tun hatte, eine antijüdische Räubergeschichte". Freilich: Zu einem richtigen Skandal wurde die "Räubergeschichte" erst, nachdem sie von einigen Medien, u.a. dem Deutschlandfunk und Spiegel online, aufgegriffen wurde. Es ging nicht nur um Krügers Ruf, auch das Ansehen der Göttinger Uni war in Gefahr, die zu den Hochschulen mit "Exzellenz"-Status gehört."

Spiegel-Online 28.6.08 und Internetzeitung Die Jüdische 30.6.08 zitieren den Newsletter der israelischen Botschaft: "Israels Gesandter und stellvertretender Botschafter in Berlin, Ilan Mor, hat die Äußerungen Krügers scharf verurteilt: "Das ist eine der schlimmsten Formen der Dehumanisierung des Staates Israel und eine Form des neu aufflackernden Antisemitismus in Deutschland, verpackt als Israel- Kritik".

Zentralrat der Juden in Deutschland 1.7.08: " Antisemitismus pur: Sportwissenschaftler Arnd Krüger behauptet israelische Attentatsopfer seien 1972 freiwillig gestorben. Die Äußerungen des Göttinger Sportwissenschaftlers Arnd Krüger, wonach die 1972 beim Olympia-Attentat getöteten israelischen Athleten freiwillig gestorben seien, um die Schuld Deutschlands gegenüber dem Staat Israel zu verlängern, sind "Antisemitismus pur" so der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Dr. Dieter Graumann." "Selbst wenn die Äußerungen Krügers durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein sollten, so sind das Schweigen und die bisherigen Beschwichtigungsversuche der Leitung der Universität Göttingen und der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (DVS) mindestens ebenso skandalös wie Krügers Aussagen selbst", meint Graumann. Die in seinem Vortrag konstruierten Zusammenhänge, wonach zwischen dem angeblichen Opfergang sowie einem unterschiedlichen Körperverständnis, dass in Israel herrsche, denn dort versuche beispielsweise die Jüdische Kultur Leben mit Behinderung massiv zu verhindern, eine Verbindung bestehe, überschreitet die Meinungsfreiheit und grenzt an Volksverhetzung. Hier sind Konsequenzen längst überfällig.", sagt Dr. Dieter Graumann."

Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft 3.7.08 "Das Präsidium der dvs bedauert es zutiefst, dass Prof. Dr. Arnd Krüger, ein erfahrener Hochschullehrer und Mitglied der dvs, die Gefühle des jüdischen Volkes und der Angehörigen der ermordeten israelischen Sportler verletzt hat. Die Behauptungen und Aussagen von Prof. Dr. Arnd Krüger können als antisemitische Positionen verstanden werden. Antisemitismus und Rassismus haben keinen Platz in der dvs. (...) Das Präsidium der dvs ist der Auffassung, dass die von Prof. Dr. Arnd Krüger geäußerten Behauptungen dem Ansehen der Sportwissenschaft und dem der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft schaden. Das Präsidium der dvs sieht daher die Voraussetzungen für die Einleitung eines Verfahrens zum Ausschluss von Prof. Dr. Arnd Krüger aus der dvs als gegeben an. Satzungsgemäß (gemäß § 4 der dvs-Satzung) ist vor einer Beschlussfassung durch das Präsidium das betreffende Mitglied anzuhören. Diese Anhörung wird das Präsidium zeitnah unter Einbeziehung des Ethik-Rats der dvs durchführen. Das Präsidium der dvs nimmt die von Prof. Dr. Arnd Krüger am heutigen Tag abgegebene Erklärung zur Kenntnis, seine Behauptungen endlich zurückzuziehen und sich für die Äußerungen zu entschuldigen."

Interview Krügers in der Zeitschrift "Seitenwechsel"

Krüger hatte der Zeitschrift des Göttinger Hochschulsports "Seitenwechsel" ein Interview gegeben, das in dessen Ausgabe "Sommersemester 2008" veröffentlicht wurde. Darin wird Krüger mit folgender Interviewantwort zitiert:

"ich war 1971 Betreuer der israelischen Leichtathleten bei den Vorolympischen Spielen. Vor allem zwei der Leichtathletinnen, die in meinem Verein in Leverkusen für einige Zeit mittrainierten, kannte ich gut. Man hatte mir vorher gesagt: "Die kommen und wir sind gar nicht mehr da". Ich verstand erst später richtig, worum es ging. Als die Attentäter in das Olympische Dorf eindrangen, flüchtete einer der Geher als letzter aus dem israelischen Quartier über den Balkon. Er hatte zentimeterdicke Brillengläser, d.h. er war praktisch blind ohne Brille, Und wenn jemand wie er flüchten konnte, hätte jeder flüchten können. Aber die Anderen wollten nicht. Sie hatten sich freiweillig gemeldet und wussten, dass die Palästinenser kommen würden. Nicht wann - aber dass. In der israelischen Presse war die unsichere Lage schon Wochen vorher diskutiert worden. Daher hatte man die gesamte Frauenmannschaft in München privat untergebracht. Nicht mehr als eine Person pro Wohnung, um kein Risiko einzugehen, Von den männlichen Mitgliedern des israelischen Teams waren nur Geheimdienstler, Reserveoffiziere und Freiwillige da. .."


Ausgabe "Seitenwechsel" mit dem Interview

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