Filzkunst Internationale Filzkunst Ausstellung Vom
16.2. - 1.4.13 ist in der "Historischen Spinnerei Gartetal" die internationale
Filzkunst-Ausstellung mit dem Titel "…IN BEWEGUNG" zu
sehen. nach
Veranstaltertexten: Die Internationale Filzkunstausstellung "… in Bewegung"
zeigt die vielfältigen Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks eines
bekannten Materials in unbekannter Form - die handverfilzte Wolle. Die Skulpturen,
Installationen und Reliefs sind wie dreidimensionale Objekte der Bildhauerei erlebbar,
doch das Material spricht anders, hat eine typische innere Struktur, ist warm
und flexibel, seine Fasern sind ungeordnet miteinander verschlungen, chaotisch
und strukturiert gleichzeitig. Es erzählt von Denken, Zeit und Kraft, die
ursprünglich lose Wolle zum endgültigen Objekt zu formen.
Der Veranstalter ist Filz-Netzwerk e. V., www.filznetzwerk.de. Ein Vereinsziel des ca.300 Mitglieder zählenden Vereins ist die Förderung des traditionellen Filz-Handwerks, dessen moderne Weiterentwicklung und die Durchsetzung offiziell anerkannter handwerklicher Qualitätskriterien für Gebrauchsfilze. Frieder Glatzer vom filzrausch.de, aus Göttingen, hat die Planung und Organisation übernommen, die ebenso wie die Aufsicht in der Historischen Spinnerei im Gartetal e. V. rein ehrenamtlich stattfindet. Kontakt: Frieder Glatzer, Hagenweg 2/b, 37081 Göttingen Tel.: 0551-67515, e-mail: info@filzrausch.de / siehe auch >>TV-Reportage
Filz
ist die modernere Form der Vernetzung 23.3.13 / Alle Welt wendet sich vielsagend gegen Filz in der offiziellen Politik und redet gleichzeitig auf vielen anderen Gebieten hoffnungsvoll verzückt von "Vernetzung". Filz steht auf abfällige Weise für undurchsichtige Strukturen, während mit "Vernetzung" die klare Verbindung von Punkten mit Linien assoziiert wird. Aus welchem Grund auch immer: Kunststudenten wird angeblich sogar "dringend vom Material Filz" abgeraten (1) . Filz haftet Abwertung an - wer verwendet schon Filz? Arme Leute? Barbaren? In der Tat spiegelt sich hier der Gegensatz zwischen Nomaden und Seßhaftigkeit. Nomaden wurden als "fahrendes Volk" von Seßhaften abgelehnt. Filz war das Material der Nomaden, nur Seßhafte konnten große Webstühle betreiben und ihr Geschäft war das Gewebte. "Als Jäger und Sammler in nomadischen Kulturen steht die Wiederverwendung der leichten Zeltstanden und das Filzen runder Formgebungen, gegen die Techniken des Webens in der Welt der Rechtecke und quadratischen Muster." (2)
Doch die moderne Wertschätzung der "Vernetzung" lässt sich nicht nur auf die geradlinige Verknüpfungen, wie das ordentliche Weben mit linienförmigen Fädenverknüpfungen beziehen. Filz ist zwar Chaos, eine Wirrnis von Fasern, unstrukturiert , ist aber dennoch im Ergebnis ein besonders wertvolles Endprodukt. Die scheinbare Überlegenheit wohlgeordneter (hierarchischer Baum-) Strukturen ist der Erkenntnis gewichen, dass sie für moderne komplexe Systeme eine unvollkommene Methode darstellen. Verbindungen in der Ungeordnetheit wie der des Filzes wurden von Gilles Deleuze und Félix Guattari unter dem Begriff des "Rhizom" (Wurzel-Flechtwerk) als überlegenere Form der Organsiation dargestellt. "Das rhizomorphe Gewebe ist dichte, tiefe Ordnung, Filz und Geflecht unzähliger Verknüpfungen und Überlappungen: in allen Matrizen ist vieles gleichzeitig an vielen Orten, alle Elemente gehören zu mehrern klassen und Kategorieren, besitzen multiple Koordinaten und Positionen im Ordungssystem..." (Haase, 2013).
Betrachtet man Filz als Rhizom, dann repräsentiert Filz eine modernere Wesensart als jene des geradlinigen Verwebens: "So ist es nicht möglich, moderne Wissenswelten nach dem klassischen Baummodell ordnen und kategorisieren zu wollen. Zwar können bestimmte Ordnungsstrukturen geschaffen werden, diese werden jedoch von internen Verknüpfungen und Verbindungslinien wieder untergraben. Aus der Perspektive jeder Wissenschaft, jeder neuen Herangehensweise, jedes Fachgebiets bauen sich das System und die Ordnung des bestehenden Wissens in eigener Weise auf. "In einem Rhizom gibt es keine Punkte oder Positionen wie etwa in einer Struktur, einem Baum oder einer Wurzel. Es gibt nichts als Linien."[ Deleuze/Guattari 1977] Vielen modernen Medientheoretikern scheint die Metapher des Rhizoms daher geeignet, um Strukturen von Hypertexten, sozialen Netzwerken oder Computernetzen wie dem Internet zu beschreiben." (Wikipedia) Nicht nur das pure Material Filz an sich sondern auch dessen Verwendungsmöglichkeiten heben sich von denen des Webmaterials ab. Es lässt sich in vielfältige skulpturale Formen bringen. Und genau das zeigt die Ausstellung von Filzkunst in überzeugender Weise: hier wird durch die ästhetische Formgebung der Filz von jeglichem "Armutszeugnis" befreit und in künstlerische-zivilisatorische Höhen gehoben. Zusammen mit der Aufwertung des Filzes in der philosophischen Betrachtung als Rhizomgebilde entsteht so eine neue aufgehellte Sichtweise auf Filz. Ohne den Umweg über diese Gedankengänge kann auch der direkte sinnlich Umgang mit dem Material Filz erhellende Erfahrungen liefern. Ein schwer ergründbares Empfinden von Wärme ergibt sich nicht nur beim Anfassen, sondern auch allein vom Ansehen. (Allerdings vermag dies bei der Filzausstellung leider nicht die Kälte in zwei von drei Ausstellungsräumen der historischen Spinnerei zu kompensieren). Geradezu genial ist in Bezug auf die Ausstellungsräumlichkeiten der Historischen Spinnerei die Einbindung von Filzkunst in die Umgebung von Maschinen, welche das Urmaterial Wolle verarbeiteten. Die Exponate befinden sich also am Scheideweg der Wolle, der einerseits zum Spinnen und Weben andererseits zur direkten Verarbeitung in Filz führt. 1)
Gerhard A. Haase zitiert in seinem Text "Weben und Filzen" Ursula Krechel, "Ist
Schreiben lernbar, lehrbar, lebbar" in ndl 6/98 )
Weben und Filzen
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