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Filzkunst

Internationale Filzkunst Ausstellung

Vom 16.2. - 1.4.13 ist in der "Historischen Spinnerei Gartetal" die internationale Filzkunst-Ausstellung mit dem Titel "…IN BEWEGUNG" zu sehen.
Die Spinnerei Gartetal e. V. bfindet sich in der Nähe von Klein-Lengden, Steinsmühle 8. Die Ausstellung ist geöffnet: Do./Fr.: 16 - 19.30 Uhr, Sa./So.: 13 - 19.30 Uhr. Öffnungszeiten: Ostern: Do: 16-19:30 , Karfreitag bis Ostermontag 13-19:30 Uhr. Tipp: ein Besuch ab 18 ist durch die Lichtinstalation reizvoll.

nach Veranstaltertexten: Die Internationale Filzkunstausstellung "… in Bewegung" zeigt die vielfältigen Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks eines bekannten Materials in unbekannter Form - die handverfilzte Wolle. Die Skulpturen, Installationen und Reliefs sind wie dreidimensionale Objekte der Bildhauerei erlebbar, doch das Material spricht anders, hat eine typische innere Struktur, ist warm und flexibel, seine Fasern sind ungeordnet miteinander verschlungen, chaotisch und strukturiert gleichzeitig. Es erzählt von Denken, Zeit und Kraft, die ursprünglich lose Wolle zum endgültigen Objekt zu formen.
Die Ausstellung repräsentiert Filzkunst auf einem hohen internationalen Niveau. Der veranstaltende Verein "Filznetzwerk e. V" (Sitz in Albessen) freut sich, dass es ihm gelungen ist, eine derart hochwertige Ausstellung in die Region zu bringen. Aus 20 Ländern waren 251 Bewerbungen um eine Teilnahme an der Ausstellung eingegangen und von einer fachkundigen Jury wurden Arbeiten von 54 Künstlerinnen aus der ganzen Welt ausgewählt, die nun in der Historischen Spinnerei ausgestellt werden. Die Jury vergab u.a. Preise an Künstlerinnen aus Kanadass, Belgien und Australien.
Nach der Ausstellung in der Historischen Spinnerei wird die Ausstellung in weiteren Museen in Europa gezeigt. Und zwar im 'Musée du Feutre', Mouzon, Frankreich > 'Pfalzmuseum', 91301 Forchheim > 'Craft Museum of Finnland'. Weitere Ausstellungsorte in Deutschland und Europa sind in Vorbereitung. Zur Ausstellung erscheint ein zweisprachiger Ausstellungskatalog (144 Seiten).

Der Veranstalter ist Filz-Netzwerk e. V., www.filznetzwerk.de. Ein Vereinsziel des ca.300 Mitglieder zählenden Vereins ist die Förderung des traditionellen Filz-Handwerks, dessen moderne Weiterentwicklung und die Durchsetzung offiziell anerkannter handwerklicher Qualitätskriterien für Gebrauchsfilze. Frieder Glatzer vom filzrausch.de, aus Göttingen, hat die Planung und Organisation übernommen, die ebenso wie die Aufsicht in der Historischen Spinnerei im Gartetal e. V. rein ehrenamtlich stattfindet. Kontakt: Frieder Glatzer, Hagenweg 2/b, 37081 Göttingen Tel.: 0551-67515, e-mail: info@filzrausch.de / siehe auch >>TV-Reportage


Catherine OLeary "Incarcerated" / Foto: ChrisFranklin

Filz ist die modernere Form der Vernetzung
Reflexionen zur Filzkunst-Ausstellung / goest

23.3.13 / Alle Welt wendet sich vielsagend gegen Filz in der offiziellen Politik und redet gleichzeitig auf vielen anderen Gebieten hoffnungsvoll verzückt von "Vernetzung". Filz steht auf abfällige Weise für undurchsichtige Strukturen, während mit "Vernetzung" die klare Verbindung von Punkten mit Linien assoziiert wird. Aus welchem Grund auch immer: Kunststudenten wird angeblich sogar "dringend vom Material Filz" abgeraten (1) . Filz haftet Abwertung an - wer verwendet schon Filz? Arme Leute? Barbaren? In der Tat spiegelt sich hier der Gegensatz zwischen Nomaden und Seßhaftigkeit. Nomaden wurden als "fahrendes Volk" von Seßhaften abgelehnt. Filz war das Material der Nomaden, nur Seßhafte konnten große Webstühle betreiben und ihr Geschäft war das Gewebte. "Als Jäger und Sammler in nomadischen Kulturen steht die Wiederverwendung der leichten Zeltstanden und das Filzen runder Formgebungen, gegen die Techniken des Webens in der Welt der Rechtecke und quadratischen Muster." (2)

Hier wird der Gegensatz zwischen Rhizom und eisenharter Struktur ironisch auf die Spitze getrieben

Ein Zahnrad aus Filz, freundschaftlich mit einem aus Eisen verbunden.

Bettina Jakob (D) "Rad"

 

Doch die moderne Wertschätzung der "Vernetzung" lässt sich nicht nur auf die geradlinige Verknüpfungen, wie das ordentliche Weben mit linienförmigen Fädenverknüpfungen beziehen. Filz ist zwar Chaos, eine Wirrnis von Fasern, unstrukturiert , ist aber dennoch im Ergebnis ein besonders wertvolles Endprodukt. Die scheinbare Überlegenheit wohlgeordneter (hierarchischer Baum-) Strukturen ist der Erkenntnis gewichen, dass sie für moderne komplexe Systeme eine unvollkommene Methode darstellen. Verbindungen in der Ungeordnetheit wie der des Filzes wurden von Gilles Deleuze und Félix Guattari unter dem Begriff des "Rhizom" (Wurzel-Flechtwerk) als überlegenere Form der Organsiation dargestellt. "Das rhizomorphe Gewebe ist dichte, tiefe Ordnung, Filz und Geflecht unzähliger Verknüpfungen und Überlappungen: in allen Matrizen ist vieles gleichzeitig an vielen Orten, alle Elemente gehören zu mehrern klassen und Kategorieren, besitzen multiple Koordinaten und Positionen im Ordungssystem..." (Haase, 2013).


Beate Bosert (D) Menschen I / Treffen

Betrachtet man Filz als Rhizom, dann repräsentiert Filz eine modernere Wesensart als jene des geradlinigen Verwebens: "So ist es nicht möglich, moderne Wissenswelten nach dem klassischen Baummodell ordnen und kategorisieren zu wollen. Zwar können bestimmte Ordnungsstrukturen geschaffen werden, diese werden jedoch von internen Verknüpfungen und Verbindungslinien wieder untergraben. Aus der Perspektive jeder Wissenschaft, jeder neuen Herangehensweise, jedes Fachgebiets bauen sich das System und die Ordnung des bestehenden Wissens in eigener Weise auf. "In einem Rhizom gibt es keine Punkte oder Positionen wie etwa in einer Struktur, einem Baum oder einer Wurzel. Es gibt nichts als Linien."[ Deleuze/Guattari 1977] Vielen modernen Medientheoretikern scheint die Metapher des Rhizoms daher geeignet, um Strukturen von Hypertexten, sozialen Netzwerken oder Computernetzen wie dem Internet zu beschreiben." (Wikipedia)

Nicht nur das pure Material Filz an sich sondern auch dessen Verwendungsmöglichkeiten heben sich von denen des Webmaterials ab. Es lässt sich in vielfältige skulpturale Formen bringen. Und genau das zeigt die Ausstellung von Filzkunst in überzeugender Weise: hier wird durch die ästhetische Formgebung der Filz von jeglichem "Armutszeugnis" befreit und in künstlerische-zivilisatorische Höhen gehoben. Zusammen mit der Aufwertung des Filzes in der philosophischen Betrachtung als Rhizomgebilde entsteht so eine neue aufgehellte Sichtweise auf Filz.

Ohne den Umweg über diese Gedankengänge kann auch der direkte sinnlich Umgang mit dem Material Filz erhellende Erfahrungen liefern. Ein schwer ergründbares Empfinden von Wärme ergibt sich nicht nur beim Anfassen, sondern auch allein vom Ansehen. (Allerdings vermag dies bei der Filzausstellung leider nicht die Kälte in zwei von drei Ausstellungsräumen der historischen Spinnerei zu kompensieren).

Geradezu genial ist in Bezug auf die Ausstellungsräumlichkeiten der Historischen Spinnerei die Einbindung von Filzkunst in die Umgebung von Maschinen, welche das Urmaterial Wolle verarbeiteten. Die Exponate befinden sich also am Scheideweg der Wolle, der einerseits zum Spinnen und Weben andererseits zur direkten Verarbeitung in Filz führt.

1) Gerhard A. Haase zitiert in seinem Text "Weben und Filzen" Ursula Krechel, "Ist Schreiben lernbar, lehrbar, lebbar" in ndl 6/98 )
2) Gerhard A. Haase, Weben und Filzen, Manuskript 2013 Göttingen,


Maschinensaal der historischen Spinnerei

Weben und Filzen
Auszug aus Gerd Haase,, Göttingen 2013 , 41 Seiten
(Unveröffentlichtes Manuskript)

"In der Pressemitteilung zur internationalen Filzkunstausstellung am 16.02.13 wird auf die inneren Strukturelemente des Filzens hingewiesen (der Stoff) "ist ungeordnet miteinander verschlungen. (...) "Es erzahlt von Denken, Zeit und Kraft, die ursprunglich lose Wolle zum endgultigen Objekt zu formen." (48)
Filz ist eine besondere Form des Textilverbundstoffes, da sich die Wollfasern beim Filzen – aufgrund ihrer physiologischen Eigenschaften – ohne zusatzliche Bindemittel zu einem festen Gebilde verfestigen lassen. Die Verdichtung zu einer Flache wird durch Reibung, Druck, Feuchtigkeit und Warme erzielt, bedarf also keiner komplizierten Vorrichtungen (49). Hierin liegt die lange Tradition des Filzens sowie die Nutzung bei nomadischen Volkern begründet. Der Vorgang des Filzens unterscheidet sich demzufolge schon grundlegend von dem des Webens in seiner Gebundenheit an Raum und Zeit. Heidi Helmhold führt diese Zusammenhänge aus und verbindet sie mit den Lebens - respektive Wohnformen: Das Weben geschieht in einem auf Seßhaftigkeit ausgerichteten Lebenszusammenhang, während das Filzen einer "diskontinuierlichen Lebensform des Nomadismus" angehört (50). Die technischen Bedingungen des Filzens und des Webens lassen sich auf ihre jeweiligen Bewegungsformen (Kultur – Technik) beziehen. Die Bewegung des Nomaden und des Filzenden ist die des Chaotischen, des Runden und des Nicht-Vorhersagbaren (Unbestimmtheit – wie Wetter), Nicht-Planbaren beziehen. "Die natürlichen Tegumente sind alle Filze, wie z. B. das Thierfell und der Baumbast. Der Mensch kam fruh auf den Gedanken, sie nachzubilden und ein Gewirr aus Haaren zu bereiten, das ausnehmende Geschmeidigkeit und Dichtigkeit hat, sehr gut vor Kälte, Nässe und selbst gegen Wunden schützt und dabei sehr leicht ist."

"Das Symbol als Basis von Gedankensystemen setzt eine zugängliche Notation voraus. Die exponierte Stellung behält das Textile bei Semper: Der gesamte erste Teil seiner Schrift ist der textilen Kunst gewidmet und begrundet dies mit der Stellung des Textilen als ‘Urkunst’, von der alle anderen Kunste "ihre Typen und Symbole [...] entlehnten, während sie selbst in dieser Beziehung ganz selbständig erscheint und ihre Typen aus sich heraus bildet oder unmittelbar der Natur abborgt." (41)" Schrift- und Zahlsysteme (Notationsformen) werden von Goschke als ‘externe Symbolsysteme’ bezeichnet. Ihre Entwicklung habe "zur Bereitstellung neuer Repräsentationsformen geführt, in denen gegebene Probleme einfacher darstellbar sind und mit geringerem Aufwand an kognitiven Operationen gelöst werden können." (42) Schon in einer früheren Schrift hatte Semper auf die Ursprünglichkeit des Flechtens und Wirkens von Matten und Decken hingewiesen und die zentrale Bedeutung der Teppichwand fur die Kunstgeschichte postuliert. Das alteste Ornament sei gleichermaßen ein Produkt von "Verflechtungen und Verknotungen" und die Kunst des Malens und die Skulptur sei aus einer textilen Technik, nämlich aus den "Webstühlen und den Farbekesseln der betriebsamen Assyrer", hervorgegangen. (43)"

41 Semper (1977) a.a.O.: S. 13. Paragraph 4 ist mit dem zitierten Satz "Weshalb die textilen Kunste voranzuschicken sind" überschrieben.
43 Semper (1851); a.a.O; S. 59
42 Goschke, Thomas (1990): Wissen ohne Symbole?, in: Zeitschrift fur Semiotik, Bd. 12, Heft 1–2, Tübingen, S. 25–45, S.40
43 Semper (1851); a.a.O; S. 59
48 Pressemitteilung Ausstellung -
49 Braddock, Sarah/O’Mahony, Marie (1998): Techno Textiles, London; S. 48. Die Autorinnen differenzieren neben den adhasiven und chemischen Bondings des weiteren zwischen kohasiven und thermischen. 183 Bellinger (1950): unpag. "Felt is a fabric built up by the interlocking of fibers by a suitable combination of mechanical work, chemical action, moisture and heat, without spinning, weaving or knitting."
50 Helmhold, Heidi (1990): Nomadismus und Seßhaftigkeit, in: Textilarbeit + Unterricht 4/90, Dortmund, S. 187–192;

 


Marjolein Dallinga "Trinity" / Foto: LucienLisabelle / Exponat der Ausstellung