Informationsdienst Computer&Medien

Archiv   Nr.2 / 1991

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VERÄNDERUNGEN BEIM INFORMATIONSDIENST *
MULTIKULTURELLE ÖFFENTLICHKEIT *
KEIN NEUES RADIO "100" (BERLIN) *
PROJEKT ZEITUNGSTREFFEN *
EUROPÄISCHE GESUNDHEITSDATEN-ZENTRALE *
WORKSHOP "EUROPÄISCHE ÖFFENTLICHKEIT" *
DATENHERRSCHAFT ÜBER AUSLÄNDERiNNEN WIRD GESTRAFFT *
ERGEBNISSE DES TELEKOM-"BÜRGERGUTACHTENS" *
DISKETTEN-ZEITUNG *
VOLKSZÄHLUNG OHNE ENDE! *
"TELEHÜTTEN" FÜR DIE ALTERNATIVSZENE *
MÜNCHEN: MEDIENHAUS AUF DER PRATERINSEL *
ELEKTROMAGNETISCHE STRAHLUNG AM BILDSCHIRM (TEIL 2) *
ROT-GRÜNE BTX-PROPAGANDA *
DEMONSTRATION AUF DEM ELEKTRONISCHEN MARKTPLATZ *
FACHTAGUNG "GEN- UND INFORMATIONSTECHNOLOGIE" *
STADTZEITUNG ALS LOW-COST-PROJEKT *
TELEKOMMUNIKATIONSKULTUR - COOL TOUR *
GEGENÖFFENTLICHKEIT *
NEUES VERZEICHNIS ALTERNATIVER MEDIEN ERSCHIENEN *
RUNDFUNKBILDUNGSZENTRUM DORTMUND IST UMGEZOGEN *
BEACHTLICHE VERANKERUNG EINES PIRATENSENDERS *

VERÄNDERUNGEN BEIM INFORMATIONSDIENST

Da im Rahmen der parteiinternen Strukturreform bei den GRÜNEN die Existenz der Bundesarbeitsgemeinschaften in Frage gestellt wird, erscheint es uns sinnvoll, den Informationsdienst COMPUTER & MEDIEN auf eigene Beine zu stellen.

Durch die geplante Neuzusammensetzung der BAGs nach einem strikten Delegiertenprinzip, bei dem die Landesvorstände praktisch die Delegierten bestimmen, wird es ab Januar 1992 unmöglich sein, die BAG Computer und Medien in der bisherigen personellen Zusammensetzung weiter fortzuführen. Wir möchten unseren, in mehreren Jahren gewachsenen Diskussionszusammenhang jedoch erhalten. Der Informationsdienst erscheint uns das geeignete Mittel zu sein, zukünftig als unabhängiges kritisches Medium der Entwicklung von Basisinitiativen zu dienen.

Zukünftig wird der Informationsdienst COMPUTER & MEDIEN gemeinsam in Zusammenarbeit mit dem ID - ZENTRUM FÜR ALTERNATIVE MEDIEN e.V. und der "TelekommunikAktion" (Heidelberg) erstellt.

Die Finanzierung des Infodienstes ist in diesem Zusammenhang vollständig auf Spenden angewiesen. In der nächsten Nummer (3/91) wird wieder ein Überweisungsvordruck für die Spende 1991 beiliegen. Vom Spendeneingang wird es abhängen, in welcher Auflage, mit welchem Umfang und welcher Druckqualität der Infodienst zukünftig produziert werden kann.

Der Verteilerkreis wird aller Voraussicht nach auf eine kleinere Zahl von Leuten eingeschränkt werden müssen. Vorrangig beliefert werden Leute, die mit uns in einem Arbeitszusammenhang stehen. Darüberhinaus bleiben selbstverständlich diejenigen, die uns mit einer Spende von jährlich mindestens 20 DM unterstützen ebenfalls im Verteiler drin.

Zur Zeit der Drucklegung des vorliegenden Infodienstes war es noch nicht klar, ob noch ein letztes Mal mit einem finanziellen Zuschuß im Rahmen der BAG Computer & Medien zu rechnen ist.

 

MULTIKULTURELLE ÖFFENTLICHKEIT

Zum Thema "Medienöffentlichkeit und Medienzugang für ethnische Minderheiten" veranstaltete die BAG Computer & Medien im Dezember 1989 in Berlin eine Fachtagung mit ExpertInnen aus Medien, Wissenschaft und Politik.

Die Referate und Diskussionsbeiträge dieser Veranstaltung liegen inzwischen als vollständig Tagungsdokumentation vor und liefern neben umfangreichen Hintergrundinformationen eine Fülle von Argumenten für eine Verbesserung der Mediensituation sprachlicher Minderheiten.

Die 70 Seiten umfassende Broschüre "Sprachliche Minderheiten und Medien - Bestandsaufnahme und Perspektive" ist gegen eine Schutzgebühr von 6 DM (nur gegen Vorkasse) zu beziehen über: ID-Zentrum für alternative Medien, Sybille Bartscher, Hamburger ALlee 45, 6000 Frankfurt/M 90. Einzahlungen: ID Zentrum für alternative Medien, Postgirokonto Nr.: 419516-606, Postgiroamt Frankfurt, BLZ 500 100 60 (oder 6 DM in Briefmarken).

 

KEIN NEUES RADIO "100" (BERLIN)

Das alte "Radio 100" auf UKW, 103,4 Mhz in Berlin ist seit einiger Zeit am Ende. Geschäftsführer Thomas Thimme, hatte am 28.2.91 den Konkurs des Senders angemeldet und die MitarbeiterInnen standen morgens vor verschlossenen, bewachten Türen. Thimme wollte von Anfang an das "Radio 100" wegen finanzieller Schwierigkeiten an den französischen Sender "Nouvelle Radio Jeunesse" (NRJ),einen Musik-Blahblah-Werbung-Sender, verkaufen, der bereits zahlreiche Lokalradiostationen in Frankreich und England besitzt.

Das Unternehmen "Schmidt und Partner" (MSP) (Elefantenpress-Verlag, Titanic- und Freitag-Herausgeber) war ebenfalls am Kauf von Radio 100 interessiert. "Schmidt und Partner" (MSP) ist gegenwärtig mit verschiedenen Aufkäufen wie z.B. des Tribüne-Verlages/Junge Welt im linken Medienmarkt beschäftigt. Dennoch erhofften sich die Radio 100-Leute, daß sie bei MSP die Programmstruktur und die redaktionelle Autonomie erhalten könnten. Deshalb fand eine Spendenkampagne statt, die über 100.000 DM für das Radio 100 einbrachte und es ermöglichte, daß anschließend Verhandlungen mit MSP statt mit NRJ geführt werden.

Auch die taz besaß Anteile am Radio 100 und war mit am Gerangel beteiligt. Taz-Geschäftsführer Ruch wollte verhindern, daß mit MSP verhandelt wird. Er und Geschäftsführer Weihönig von MSP wurde worgehalten, sie seien "Intimfeinde" geworden, weil sie sich ständig beim Aufkaufen von Unternehmen im linken Medienmarkt als scharfe Konkurrenten begegnen. Als dies dem taz-Vorstand deutlich wurde, entschloß dieser sich gegen den Verkauf von Radio 100 an NRJ.

Die mögliche zukünftige Gruppierung, die ein neues Radio 100 hätte tragen können wäre gewesen: Schmidt und Partner, Basisdruck-Verlag als Gesellschafter und dann dem MitarbeiterInnenverein Radio 100, TOLLeranz e.V., Förderverein für interkulturelle Medienarbeit (FIM) und Prominentenverein. FIM war vor allem darum bemüht, eine Verbindung vom Radio 100 zu politischen, kulturellen und sozialen Initiativen aufzubauen.

Dadurch, daß Thimme den Konkurs angemeldet hatte, wurde jedoch der Weg für eine Übernahme durch NRJ geebnet. Am Montag den 6.Mai hat der Berliner Kabelrat die freigewordene Frequenz von Radio 100 an "Radio 2000" von NRJ vergeben. Thomas Thimme meinte "mit Hunderten von Soli-Gruppen erreicht man keine gesellschaftliche Relevanz" (taz, 10.5.91) und arbeitet jetzt für Radio 2000 von NRJ.

Bitterböser Kommentar und Fluch: Die Zahl "2000" ist zwar größer als die Zahl "100" aber hundert Soli-Gruppen für Radio 100 sind sicher von größerer gesellschaftlicher Relevanz als die Tausendmarkscheine von NRJ. Vielleicht spürt das Thomas Thimme, falls er mal von NRJ gefeuert wird und sich keine einzige Soli-Gruppe für ihn findet.

Quellen: "telegraph" (Ostberlin), Nr. 3/22.3.91, Nr.4/26.4.91 (Einzelheft 3 DM, Jahresabonnement 34 DM, telegraph existiert seit 1986, ist Nachfolgezeitschrift der "umweltblätter" und immer noch behördenunfreundlich), Süddeutsche Zeitung und taz vom 10.5.91

Kontakt: Förderverein für interkulturelle Medienarbeit FIM, c/o Lateinamerikazentrum, Oppelner Str. 7, W-1 Berlin 36, 030/6189054

Ostberlin: FIM, c/o Umweltbibliothek, Schliemannstr. 22, O-1058 Berlin, Tel. (Ost) 00372/4485374, "Radio im Exil", Schliemannstr. 22, O-1058 Berlin, 16.OO-18.OO Uhr.

 

PROJEKT ZEITUNGSTREFFEN

Auf dem Treffen am 16.3.91 waren anwesend : ID-Zentrum für alternative Medien Frankfurt, Initiative "Heideldata" für "Stille Post", IKÖ-Rundbrief, FiFF-Kommunikation, Wechselwirkung, Datenschutznachrichten DANA, Bayrische Hackerpost und der gastgebende "Informationsdienst COMPUTER & MEDIEN". Ebenfalls anwesend waren Vertreter von Radio Dreyeckland, die "RDL-Aktuell" herausgeben, von Radio St. Pauli sowie Leute aus Berlin und Hamburg, die an Mailbox-Informationsdiensten arbeiten.

Da das Treffen im Rahmen einer Sitzung der BAG Computer & Medien stattfand, waren weitere Gäste anwesend, darunter die Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien im sächsischen Landtag, Leonore Ackermann (Vertreterin von Bündnis 90).

Das Treffen war zunächst für ein erstes persönliches Kennenlernen gedacht und für den Zeitraum von 14.30 - 19.00 Uhr in den Ablauf der BAG Computer & Medien - Sitzung eingegliedert. In diesen wenigen Stunden stellten sich die verschiedenen Zeitungsredaktionen mit ihrer Arbeit vor und beantworteten Fragen. Sowohl die Entstehungsgeschichte, Einbindung in Verbände/Organisationen, Charakteristika der personellen Situation und der technischen Erstellung sowie Vertrieb, Auflagen und Kostensituation wurden angesprochen und..... mit welchem DTP-Programm die Zeitung layoutet wird.

Hinsichtlich der Frage inwieweit sich die LeserInnen-Kreise überschneiden, gab es unterschiedliche Einschätzungen. Während einige von einer relativ klaren Trennung ausgingen, erschien es anderen eher so, als ob mehrere Zeitungen die gleiche "Zielgruppe" hätten, was sich auch an den Mehrfach-Mitgliedschaften in den dazugehörigen Organisationen und Verbänden zeige.

In Bezug auf mögliche gegenseitige Unterstützung ergaben sich Fragen zum Bilder- und Karikaturen-Copyright sowie zur technischen Abwicklung des Versands. Dies Fragen wurden aber nicht von der Runde insgesamt aufgegriffen, sondern blieben zunächst einmal nur als Problemformulierung stehen.

Der mögliche Widerspruch zwischen ökonomischem Interesse und politischer Vernunft, wurde nicht thematisiert. Das ökonomische Interesse, mit hoher Auflage und Abo-Zahlen die Existenz einer Zeitung zu sichern, um dem eigenen Konzept damit Lebenskraft zu verleihen, könnte schließlich der sinnvollen Zusammenarbeit und evtl. der Zusammenlegung von verschiedenen Projekten entgegenstehen. Aber diese Frage tauchte gar nicht erst auf, vielmehr wurden sofort Kooperationsmöglichkeiten besprochen.

a) Ist es möglich, daß in regelmäßigen Treffen der Redaktionen auch eine langfristige Themenplanung, -verteilung verabredet werden kann ? Könnte auf diese Weise z.B. gezielt eine Kampagne mit Beiträgen aus unterschiedlichen Bereichen gestärkt werden ? Das Beispiel "Golfkrieg" schien zu belegen, daß es "aktuelle Weltereignisse" gibt, die eine solche Zusammenarbeit notwendig machen. Andererseits enthalten die Zeitschriften auch ohne Verabredung alle Artikel zu diesem Thema, bliebe die Frage, ob durch Absprache die Themenverteilung verbessert werden könnte wodurch Überschneidungen bzw. Dopplungen vermieden würden. Die Mehrzahl neigte zu der Auffassung, daß solche Absprachen lediglich langfristig machbar seien, schlossen aber auch nicht aus, daß auch für kurzfristige Abstimmung die Energie aufgebracht wird, "wenn's ganz wichtig ist".

b) Als Test für eine mögliche Zusammenarbeit wurde vorgeschlagen, für alle Zeitschriften eine gemeinsame Beilage von 1-2 Seiten zu produzieren. Dies würde bei einer Überschneidung der LeserInnenkreise dazu führen, daß sie die Beilage 2 oder 3 mal jeweils als Bestandteil einer anderen Zeitung in die Hand bekämen. Um herauszufinden, wie die LeserInnen darauf reagieren, und ob überhaupt solche Überschneidungen vorliegen, wäre dieser Test allerdings dienlich.

c) Ein anderes Gemeinschaftsprojekt könnte eine Art gemeinschaftlicher "Fach-Presse-Service" sein, der alternative Zeitungen wie Stadtmagazine, Stadtzeitungen etc. mit artikelgerechten Texten zu unseren Fachthemen informiert. Dadurch würde ein weiterer Kreis von LeserInnen erreicht, die Alternativ-Presse würde in Fachthemen entlastet und kampagnen-relevante Themen könnten mehr Unterstützung erzielen. Evtl. wäre auch an einen Rückfluß von lokalen Fach-Informationen aus den alternativen Stadtzeitungsredaktionen zu denken. Voraussetzung für die Weiterverbreitung wären allgemein verständliche Artikelvorlagen, die nicht vom Vorwissen einer FachleserInnenschaft ausgehen.

Nach diesem ersten "Zeitungstreffen" wird man abwarten müssen, wie die Diskussion "verdaut" wird, ob es zur Quer-Kommunikation zwischen den Redaktionen kommt, die sich ja nun erstmal persönlich kennengelernt haben. Zumindest wurde mehrfach das Interesse an weiteren Treffen geäußert, bzw. wurde dies als geradezu selbstverständlich angesehen.

Kontakt: Die Redaktion des Infodienstes, von Wechselwirkung, IKÖ-Rundbrief, TelekommunikAktion (Stille Post) oder ID-Zentrum für alternative Medien (Frankfurt).

 

EUROPÄISCHE GESUNDHEITSDATEN-ZENTRALE

Neuerdings wird den BundesbürgerInnen dringend zur Anschaffung eines "Notfallausweises der Europäischen Gemeinschaft" geraten. Der Notfallausweis wird zunächst in Papierform angeboten und enthält Angaben zur Blutgruppe, Impfungen gegen Wundstarrkrampf, Allergien, chronische Leiden, frühere Operationen und Erkrankungen. Er kann bei Hausärzten, Gesundheitsämtern, Apotheken und einigen Verlagen erworben werden.

Nun würde mensch sich nichts weiter dabei denken, wenn nicht gleichzeitig in Brüssel an einem Daten- und Informationssystem gebastel würde, in dem die Daten von ca. 300 Millionen Mitgliedern der Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zusammengeführt werden sollen. Dieses Großprojekt der EG läuft unter dem Namen "Advanced Information in Medicin" (AIM) und soll die Grundlage für einen europäischen maschinenlesbaren Sozialversicherungsausweis schaffen. (Zur Erinnerung: am 1. Juli 1991 wird der maschinenlesbare Sozialversicherungsausweis in der BRD eingeführt.)

Auf der europaweiten Versicherungskarte sollen maschinenlesbar gespeichert sein: Arbeitgeber, Hausarzt, Befunde, Familienverhältnisse, Krankengeschichte, Arbeitgeber, etc.. Jeder Arzt kann dies Daten mithilfe eines geigneten Lesegerätes abfragen und in den PC seiner Praxis einspeichern. Zu der AIM-Datenbank sollen aber sehr viel mehr Stellen Zugang bekommen: Haupt- und Nebenstellen der Krankenkassen, Kliniken, ÄrztInnen, BetriebsärztInnen, ArbeitsmedizinerInnen, Berufsgenossenschaften, Sozialhilfeträger, Arbeitsämter, Sozialgerichte und Rentenversicherungsträger.

Ein ähnliches Datenbankenprojekt war bereits von der "Arbeitsgemeinschaft für Gemeinschaftsaufgaben in der Krankenversicherung" (Essen) angestrebt worden. Es nannte sich "Datenerfassungs-, -verarbeitungs-, -dokumentations- und Informationssystem (DVDIS)" und war an den deutschen Datenschutzgesetzen gescheitert. Nun wird die ganze Chose auf "europäisch" durchgezogen und gleichzeitig der Datenschutz damit ausgehebelt. Durch die Kombination von Datenbanksystem und Ausweis wird es möglich, europaweit die besonderen Formen der persönlichen Inanspruchnahme von Krankenversicherungsleistungen zu erfassen. Eine darauf aufbauende Erstellung von Persönlichkeitsprofilen widerspricht zwar GG 2 Abs.1, aber das Grundgesetz könnte durch eine EG-Richtlinie evtl. umgangen werden.

Quellen: SZ 19.2.91, Computerwoche 50, 8.Dez. 1989,

Material: zum bundesdeutschen Sozialversicherungsausweis die Broschüre des IKÖ (4,40 DM in Briefmarken, an IKÖ, Balkenstr. 17-19, 46 Dortmund 1), Siehe auch Infodienst Nr. Nr. 3/90, S.3

 

WORKSHOP "EUROPÄISCHE ÖFFENTLICHKEIT"

Am Wochenende vom 7.6., 18 Uhr - 9.6.91 13 Uhr veranstalten IKÖ, FIFF, DVD, CILIP und das Bildungswerk für Umwelt und Kultur Bremen einen Workshop zum Theme "Bürgerrechte und Verdatung - Europa braucht eine kritische Öffentlichkeit". Der thematische Schwerpunkt liegt auf dem Datenschutz und der polizeilichen Zusammenarbeit in Westeuropa. In bezug auf "kritische Öffentlichkeit" sollen erstmal Gedanken dazu gesammelt werden, wie so etwas in Westeuropa hergestellt werden könnte. An der Vorbereitung sind u.a. beteiligt Heiner Busch, Dagmar Boedicker (FIFF), Thilo Weichert, Jochen Rieß (IKÖ).

Anmeldungen: (eigentlich bis 17.5.) an Bildungswerk Umwelt und Kultur, Stader Str. 35, 28 Bremen. Tagungsort ist das Haus "Zweischlingen" in Bielefeld.

 

DATENHERRSCHAFT ÜBER AUSLÄNDERiNNEN WIRD GESTRAFFT

Das Innenministerium hat zum 1.1.91 eine "Ausländerdatenübermittlungsverordnung-AuslDÜV" erlassen, aufgrund deren Meldebehörden, Staatsangehörigkeitsbehörden, Justizbehörden, Arbeitsämter und Gewerbebehörden dazu verpflichtet werden, eine vorgeschriebene Liste von Daten an die Ausländerbehörden zu übermitteln.

Meldebehörden: An- und Abmeldung/Datum/Anschrift/Frühere Anschrift, Änderung des Hauptwohnsitzes, Scheidung, Nichtigerklärung, Aufhebung der Ehe/Tag und Grund einer Beendigung der Ehe, Namensänderung, usw.

Justizbehörden: Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung, Widerruf der Zurückstellung der Strafvollstreckung, Antritt der Auslieferungs-, Untersuchungs- und Strafhaft, Verlegung in eine andere JVA, vorgesehene Termine für die Entlassung aus der Haft.(§4)

Arbeitsämter: Die Arbeitsämter teilen den Ausländerbehörden das Erlöschen, den Widerruf, die Rücknahme und die Beschränkung der einem Ausländer erteilten Arbeitserlaubnis mit.(§5)

Gewerbebehörden: Erteilung, Rücknahme und Widerruf einer gewerberechtlichen Erlaubnis, Untersagung der Ausübung eines Gewerbes (§6)

In einer "Ausländerdateienverordnung-AuslDatV" ist detailliert festgelegt, was die AusländerInnenbehörden darüberhinaus speichern sollen. Daraus geht hervor, daß das Daten- und Kontrollnetz noch dichter gezogen wird. In einer sogenannten "Ausländerdatei A" werden alle Personen die die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt haben, eine Aufenthaltsanzeige erstatten, AsylbewerberInnen, sich länger als 3 Monate im Bundesgebiet aufhalten oder gegen die eine ausländerrechtliche Maßnahme getroffen wurde - erfaßt. "Die Daten sind unverzüglich in die Datei einzustellen, sobald die Ausländerbehörde mit dem Ausländer befaßt wird oder ihr eine Mitteilung über den Ausländer zugeht." (AuslDatV, §2,Abs.2).

"Soweit die dafür erforderlichen technischen Einrichtungen bei der Ausländerbehörde vorhanden sind" sollen dann noch sehr viel mehr Daten in einem "erweiterten Datensatz" gespeichert werden: Ausländerzentralregister-Nr., frühere Anschriften, Seriennummern und Gültigkeitsdauer von Ausweisen und Ausweisersatzpapieren, Aufenthaltserlaubnisfristen, abgelehnte Anträge, Bedingungen, Auflagen und räumliche Beschränkungen, nachträgliche zeitliche Beschränkungen, Ausreiseaufforderung und Ausreisefrist, Abschiebung und Frist, Untersagung oder Beschränkung der politischen Betätigung, Übermittlung von Ausreisebedenken an das Ausländerzentralregister. Die Fristenspeicherung ermöglicht eine automatisierte Terminüberwachung und die Speicherung der abgelehnten Anträge vereinfacht die Ablehnung von Wiederholungsanträgen.

Die Dateienverordnung muß innerhalb von 3 Jahren, also Ende 1993 von den Behörden umgesetzt sein. Alles in allem eine beängstigende Straffung der Kontrolle und Beherrschung von AusländerInnen. Die äußeren Grenzen der EG sollen durch einen strafferen Daten-Kontrollgriff gehärtet, die binneneuropäischen Migrationsströme durch Verdatung beherrschbarer gemacht werden.

Material/Quelle: Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1990, 29.Dez. 90, Nr. 73, S. 2997-3001 . Kontaktvorschlag: siehe vorhergehenden Artikel über Workshop "Europäische Öffentlichkeit"

 

ERGEBNISSE DES TELEKOM-"BÜRGERGUTACHTENS"

Anfang März 1991 wurden die Ergebnisse einer Auftragsstudie des Bundesministerium für Post und Telekommunikation (BMPT) präsentiert, die nach außen hin als Maßnahme zur "Bürgerbeteiligung" dargestellt wurde, tatsächlich aber nur eine Marketing- und Aktzeptanzstudie war. Die andauernde Forderung

nach öffentlicher Diskussion über die Einführung von ISDN, TEMEX und BTX scheint das BMPT doch nicht unberührt gelassen zu haben. Mit dem "Bürgergutachten" sollte wenigstens der Anschein erweckt werden, als würden BürgerInnen an der Telekommunikationsplanung beteiligt (Vgl. Infodienst 4/90, S.8 "Bürgergutachten"). Ca. 500 Menschen aus 8 Städten waren zu Seminaren (gegen Bezahlung) eingeladen worden, in denen sie Vorträge über ISDN etc. anhören mußten und dann ihre Meinung dazu äußern sollten.

Es kamen so "atemberaubende" Ergebnisse heraus wie die Forderung, daß die Griffmulde bei den alten Telefonapparaten auch zukünftig erhalten bleiben solle. Aber dabei blieb es nicht; wenn erst mal die Bevölkerung eingeschaltet wird, sind die PlanerInnen vor Überraschungen nicht mehr sicher: so wurde z.B. von den BürgerInnen als besonders gewünschtes Leistungsmerkmal in der Telekommunikation "die Ruhe vor dem Telefon" genannt. Und noch schlimmer für die Telekom: Die BürgerInnen äußerten doch tatsächlich dieselben Bedenken, die von KritikerInnen gegen die Telefonnummern-Speicherung im ISDN vorgebracht werden.

Obwohl zwischen 75 und 90 % der TeilnehmerInnen den "technischen Fortschritt" ganz allgemein befürworteten (also nicht als MaschinenstürmerInnen abgetan werden konnten) waren die Leute gegenüber dem ISDN sehr kritisch eingestellt. Passend dazu stellte das "Bürgergutachten" ein generelles Mißtrauen der Bevölkerung gegenüber dem Staat, der Datenschutz-Gesetzgebung und -praxis fest.

Das Mißtrauen und die Bedenken der BürgerInnen wird das BMPT sicherlich nicht dazu veranlassen, substantielle Zugeständnisse gegenüber den Datenschutzforderungen zu machen. Nicht der mangelnde Datenschutz, sondern die Meinungen der BürgerInnen werden als "Akzeptanzbarrieren" begriffen, die es zu überwinden gilt. Im ISDN-report Nr. 3 1991 heißt es in einem Bericht über das "Bürgergutachten" auf S. 10: "Bei der oben skizzierten Datenschutzproblematik bleibt abzuwarten, wie die Datenschutzverordnug des BMPT die Vorstellungen der Telekom, der im Entwurf vorliegenden EG-Richtlinie und die Meinung der Bürgergutachter unter einen Hut bringen wird - zumal letztere sich nicht auf der selben Linie wie die beiden ersten bewegt, da die Vorstellungen der Bürgergutachter hinsichtlich der Verbindungsdatenspeicherung, des zu kürzenden EGN (Einzel-Gebühren-Nachweis) und auch der fallweise anzubietenden RNA (Ruf-Nummern-Anzeige) weit über die Entwürfe des BMPT hinausgehen.

Quellen: Infodienst-Korrespondentenbericht Wuppertal, ISDN-report 3.März 1991

Material/Kontakte: Vgl. Informationsdienst COMPUTER & MEDIEN Nr. 4/90, S.8, ISDN-report 7/90, S.3 # Durchführung der Studie: Bergische Universität, Gesamthochschule Wuppertal, Fachbereich 1 Gesellschaftswissenschaften, Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Planungsverfahren, Prof. Dr. Peter C. Dienel, Gaußstr. 20, Postfach 100127, W 5600 Wuppertal 1, Dr. Detlef Garbe vom Wissenschaftlichen Institut für Kommunikationsdienste (WIK) in Bad Honnef betreute als Berater die Projektplanung im Lenkungsausschuß.

 

DISKETTEN-ZEITUNG

Was ist eine Diskettenzeitung? Es sind redaktionell zusammengestellte Texte auf einer Diskette, die mit einem extra dafür mitgelieferten Programm ausgewählt und am Bildschirm aufgerufen werden können. Dabei werden bereits als Dateien vorliegende Texte zusammengestellt, die z.B. auf den Mailbox-Netzen herumschwirren. Ein solches Projekt wird vom "Trägerverein Medienzentrum Hamburg, c/o Jürgen Wiekmann" durchgeführt, der auch das "Telehüttenkonzept" für die Alternativszene entwickelt (Vgl. Artikel in diesem Infodienst).

Auf der ersten Disketten-Zeitung sind vor allem Beiträge zum Golfkrieg enthalten, die bereits im Comlink-Netz veröffentlicht waren. Einige Titel von Meldungen/Texten, die auf der Diskette zu finden sind: Instruktion, die für den Sicherheitsstab der sowjetischen Botschaft in Warschau bestimmt war, Diskussion um das Medium Mailbox, Adressen von Amnesty International, Position gegen die Spaltung der DKP, Der Krieg hat begonnen - was kann die Friedensbewegung tun?, Übersetzung eines Artikels aus der israelischen feministischen Zeitschrift "Noga", Historische Hintergründe des Irak-Kuwait-Konfliktes, Rechtsextremer in israelischer Regierung, Antikriegsprotest in Spanien, Kurzwellenmeldungen, Maulkorb für Klaus Bednarz, alphapress - ein Fossil im Blätterwald, CCC für bürgernahe Kommunikation, Pränatale Diagnostik (Auszug aus einem Buch), Phil Agee (ehemaliger CIA-Agent)- about the gulf war, Informationen für den Frieden: Die PEACE-Datenbank, Monitor-Interview mit Günter Grass, etc.

Im Begleitschreiben zur Diskettenzeitung heißt es: "Nicht Mangel, sondern mangelhaft aufbereitete und zusammengestellte Information ist das Problem der sogenannten Informationsgesellschaft. Aus der Flut des täglichen Nachrichtengerölls relevante Informationen herauszufiltern, das ist der Job eines Journalisten oder "Informationsverdichters". Das Rohmaterial der auf Netzen verbreiteten Meldungen braucht eine Informationsveredelung."(...) "Ähnlich wie PD-Software sollen diese und weitere Disketten-Zeitungen kopiert und verbreitet werden, so daß auch jene die Informationen nutzen können, die ohne Mailbox-Zugang sind." (...) "Diese Disketten-Zeitungen sollen die Basis eines umfangreichen und frei verfügbaren Textarchives des künftigen Medienzentrums werden." (...) "Das Projekt entstand aus der Überlegung heraus, die besten Golf-Beiträge des Comlink-Netzes auf Papier auszudrucken und Bürgerinitiativen oder der Friedensbewegung zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist die Papierproduktion so teuer, daß wir uns für die Disketten-Zeitung entschlossen haben."

Daß die Anschaffung eines PC zum Zwecke des Diskettenlesens auch Geld kostet, wird dabei außeracht gelassen. Etwas seltsam ist auch die Unterscheidung der nichtkommerziellen Nutzung auf Disketten einerseits und in Printmedien andererseits, so als ob es keine nichtkommerziellen Printmedien oder Radios gäbe. So heißt es: "Die Verbreitung der Disketten-Zeitungen durch Kopieren auf Disketten ist ausdrücklich erwünscht. (...) Die Übernahme in nicht löschbare Datenträger (z.B. Printmedien) bedarf der ausdrücklichen Zustimmung der Autoren!" Was ist der Grund für diese Unterscheidung? Macht es Sinn, einer nichtkommerziellen Stadtzeitung das Abdrucken eines der Artikel zu verbieten, wenn die Artikel bereits im Mailbox-Netz veröffentlicht worden sind?

Bestellverfahren: Adressierten Freiumschlag (DIN-A-5 / mit 1.70 DM frankiert und 5 DM in Briefmarken oder Schein beilegen) an Trägerverein Medienzentrum Hamburg c/o Jürgen Wieckmann, Barmbeker Straße 24, 2000 Hamburg 60

 

VOLKSZÄHLUNG OHNE ENDE!

Im Jahr 1991, also 4 Jahre nach der Volkszählung, wird immer noch Erzwingungshaft gegen BoykotterInnen praktiziert, die das Bußgeld nicht bezahlen wollen. Da wird die 70jährige Mutter eines Boykotteurs von Zivil-Polizei unter Druck gesetzt, wird die Frau der Falschaussage bezichtigt und eben mal schnell in ihrer Wohnung nach dem Boykotteur gesucht, wird herumgebrüllt und eingeschüchtert.

Diese Vorgänge würden kaum mehr das Licht der Öffentlichkeit erblicken, wenn nicht z.B. Gruppen wie die Volkszählungs- und Mikrozensusboykott-Arbeitsgemeinschaft in Berlin sich darum kümmern würden.

Kontakt: VoBo-AG Mehringhof, W-1000 Berlin 61, Gneisenaustr. 2a. Tel: 030/6941516 jeden Mittwoch ab 18.00 Uhr

 

"TELEHÜTTEN" FÜR DIE ALTERNATIVSZENE

Nachdem wir in den letzten Infodiensten die verschiedenen Konzepte von "Telehäusern", "Telecottages"und "Telestuben" unter dem Sammelbegriff "Telehütten" angesprochen haben, können wir nun auch über ein entsprechendes Konzept berichten, das für das Marktsegment "Alternativszene" zugeschnitten ist. Es wurde auf dem letzten Chaos Computer Congress 1990 von Jürgen Wiekmann vorgestellt. Wiekmann arbeitet u.a. an dem Pilot-Projekt "MIK-Magazin" beim kommerziellen GeoNet (von Günter Leue) mit und macht sich in diesem Zusammenhang "sehr grundlegende Gedanken über neue Informationsdienstleistungen" und deren Finanzierung.

Was nun das Telehüttenkonzept anbelangt, so meint Wiekmann: "Nach dem Vorbild der Video-Medienläden aus den 70er Jahren soll Mitte 1992 in Hamburg ein Medienzentrum für Bürger entstehen, die Mailbox-Technik für verschiedene Informationsprojekte einsetzen wollen. Zu den Initiatoren gehören unter anderem die Nutzer des Hamburger Comlink-Knoten LINK-HH. Das Zentrum soll vier Schwerpunkte abdecken: einen Ladenbereich, Seminare und Kurse, eine Bürgerberatung sowie eine PC- und Software-Werkstatt. Als gemeinnützige Institution soll das Hamburger Medienzentrum im Rahmen der Jugend- und Erwachsenenbildung projektorientiertes Arbeiten mit Computernetzen fördern. Darüber hinaus sollen die publizistischen Möglichkeiten des Mediums mit praktischen Angeboten und wissenschaftlichen Begleitforschungen erschlossen werden." *

* Quelle: Mailbox "LINK-HH", J. Wiekmann, 2.5.91, Zitate sind aus der Dateiensammlung "Best of com-link, Medienzentrum "Hamburg".

Kontakt: Trägerverein Medienzentrum Hamburg, c/o Jürgen Wieckmann, Barmbeker Straße 24, 2000 Hamburg 60. (Hierbei handelt es sich nicht um das Medienpädagogische Zentrum MPZ in der Thadenstraße! Vielmehr besteht eine nicht näher beschreibbare organisatorische Anbindung an die SPD, bzw. Jusos in Hamburg)

 

MÜNCHEN: MEDIENHAUS AUF DER PRATERINSEL

Auf der Praterinsel in München steht ein alter Fabrikgebäudekomplex (ehemaliges Riemerschmidgelände), das nach Aussagen des Münchener Kulturreferenten Siegfried Hummel den dort arbeitenden KünsterInnen noch für zwei weitere Jahre zur Verfügung gestellt werden soll. Für diese Zeit wurde nun ein Nutzungskonzept-Entwurf von Thomas Vogler vorgelegt, der u.a. auch ein Medienhaus für JournalistInnen, GraphikerInnen, Videogruppen, Supportgruppen, Desktop-Publishing, Tonstudio, Tanz und Theater vorsieht.

"Kreativität als in zukünftigen Gesellschaftsformen mit Sicherheit zentraler Punkt auch für den 'einfachen Menschen' erfordert schon heute Weichenstellungen, bei denen eine Kunst- und Medienwerkstatt auf der Praterinsel Pionierarbeit leisten kann. Vorstellbar ist u.a. durch moderne Ton- und Bildaufahmetechnik etwa der betrieb eines 'Inselfunks': Unter fachlicher Anleitung werden Programme zusammengestellt, Videos und Rundfunksendungen produziert und via Kabel in den öffentlichen Räumlichkeiten der Praterinsel zugänglich gemacht." (Konzept, S.8) Das Finanzierungskonzept gleicht eher einer gefährlichen Gratwanderung am Rande der Kommerzialisierung: "Um einen ausreichend großen Spielraum für diverse Projekte zu haben, wird man zumindest in der Anfangszeit auch auf Unterstützung durch die öffentliche Hand sowie Großspenden und Sponsoring angewiesen sein. Hier gilt es eine Regelung zu finden, inwieweit privatwirtschaftliche Interessen mit denjenigen der Praterinsel verknüpft werden dürfen bzw. sollen." (Konzept, S.3)

Material: Konzeptpapier für eine Zwischennutzung des ehemaligen Riemerschmid-Geländes auf der Münchner Praterinsel,

Kontakt: Thomas Vogler, Praterinsel 4, 8000 München 22, Tel.: 089/2285934

 

ELEKTROMAGNETISCHE STRAHLUNG AM BILDSCHIRM (TEIL 2)

Im vorletzten Heft wurde kurz die Problematik der Röntgenstrahlung erörtert, die Fortsetzung mit Teil 2 war für das Heft 1/91 angekündigt worden, es wurde aber stattdessen ein Artikel zum Golfkrieg aufgenommen. Thema des nun folgenden Teil 2 ist die elektromagnetische Strahlung.

Stromleitungen, Fernsehsender, Mikrowellen

Früher glaubte man, elektromagnetische Felder hätten keine Auswirkungen auf den menschlichen Organismus und untersuchte deshalb nur den wärmeerzeugenden Effekt von Mikrowellen, wie er z.B. bei medizinscher Bestrahlung und Mikrowellenherden auftritt. Die "nicht-thermischen Effekte" elektromagnetischer Strahlung auf organische Substanzen blieb lange Zeit unbeachtet. Bereits 1973 hatten russische Forscher auch auf nicht-thermische Effekte unter Hochspannungsleitungen hingewiesen. Aufgrund ihrer Forschungergebnisse wurde in der Sowjetunion ein Grenzwert für die Dauerbelastung durch Mikrowellen auf 0,01 Milliwatt pro cm2 festgelegt (SZ vom 27.9.90). Diese Strahlungsintenität läßt sich z.B. noch in 5 km Entfernung von einer normalen Fernsehsendestation messen (Vgl. WW.Nr. 1 Mai 1979). Die VDE/DIN-Norm erlaubt bei Mikrowellenöfen eine Abstrahlung von 5 Millwatt pro cm2, das ist die 500-fache Intensität des sowjetischen Grenzwerts!

Schnurloses Telefon, Radar

Trotz warnender Hinweise aus der Wissenschaft wurde die Zunahme elektromagnetischer Strahlen (Mikrowellen, Radarstrahlen, Funkwellen oder auch Hochspannungsabstrahlungen) bedenkenlos hingenommen "Und inzwischen leben wir überschüttet von einer Flut nicht wahrnehmbarer Strahlungen, über deren Auswirkungen keine Klarheit besteht." (WW Nr.2 1979, S.45). In allerjüngster Zeit allerdings häufen sich Meldungen über dieses Thema. Dazu gehören auch Berichte über die gefährliche Wirkung elektromagnetischer Mikro-Wellen (1mm bis 1m Wellen) in der Nähe von Radar- oder Sendeeinrichtungen. Inzwischen gibt es sogar Bedenken bei den Funkwellen schnurloser Telefone. Direktionale Antennen, die bei schnurlosen Nebenstellenanlagen benutzt werden, müssen deshalb einen Mindestabstand von 2 m zum nächstliegenden Arbeitsplatz haben. Das Europäische Telekom-Standardisierungs Institut (ETSI) hat zu der Mikrowellen-Problematik in der Telekommunikation sogar eigens eine Konferenz geplant (Lt.Funkschau 24.8.90).

Bildschirmterminals, Fernsehgeräte

Was die elektromagnetische Abstrahlung von Bildschirmen angeht, so gibt es in Schweden wesentlich schärfere Bestimmungen als in Deutschland. Strahlungsarme Bildschirme, die diesen Normen entsprechen kosten gegenwärtig allerdings 1500 bis 4.500 DM. Bei der Konstruktion ergonomischer und strahlungsarmer Bildschirme entsteht u.a. das Dilemma, daß ein Vermeiden des Bildschirmflimmerns eine hohe Frequenz (über 75 Hertz) verlangt, mit einer höheren Frequenz aber auch die Strahlungsintensität steigt, wodurch sich wieder der Aufwand für die Strahlenabschirmung erhöht. Bei der Strahlenabschirmung sind feine Metallgitterfilter für die Bildschirmoberfläche nicht ausreichend, auch das Gehäuse rund um die Bildröhre muß durch die Verwendung von Metall abgeschirmt werden. Andere Lösungen können darin bestehen, daß statt Kathodenstrahl-Bildschirmen LCD-Anzeigen verwendet werden. Bei Lap-tops, die mit dieser Technik arbeiten, ist aber das gesamte Gehäuse aus Plastik und dadurch fehlt eine Abschirmung für das Festplattenlaufwerk.

Auch viele PCs oder Datensichtgeräte haben Plastikgehäuse, die keinerlei Schutz vor elektromagnetische Wellen bieten. Auch Fernseher, vor allem Farbfernseher werden zwar auf Röntgenstrahlung überprüft, ihre elektromagnetische Abstrahlung wird jedoch nicht als Gefährdungsquelle berücksichtigt. Der TÜV Rheinland vergibt neuerdings Plaketten für "strahlungsarme Bildschirme", wenn die magnetische Feldstärke kleiner als 50 Milliardstel Tesla ist. (Wir haben zuhause erst mal den Fernseher von der Wand weggestellt, die ans Kinderzimmer grenzt und hinter der die Kinderbetten stehen). Wenn die Leute nun tagsüber am Datenterminal, PC o.ä. und abends vorm Fernseher hängen, kommt eine beträchtliche Zahl an Stunden zusammen, während der sie elektromagnetischen Wellen allein durch Bildschirmgeräte ausgesetzt sind.

Hormone, Eiweisse, Zellen, Tumoren

Die Langzeitfolgen der Mikrowelleneinwirkung sind nicht abschätzbar, niemand kann und will mehr ausschließen, daß Gesundheitsschäden daraus entstehen. Wissenschaftlichen Untersuchungen deuten eher darauf hin, daß elektromagentische Felder biologische Schädigungen hervorrufen. Die US-Umweltbehörde EPA vertritt die Ansicht, es gäbe bereits ausreichende Belege für einen Zusammenhang zwischen niederfrequenten elektromagentischen Feldern (3-3000 Hertz) und Krebs. Nancy Wertheimer (Denver) hat in einer 20 jährigen epidemiologischen Studie festgestellt, daß Kinder in Wohngebieten mit starken elektromagnetischen Feldern (Hochspannungsleitungen, Transformatoren) zwei- bis dreifach so häufig an Leukämie, Lymphknotenkrebs oder Tumoren des zentralen Nervensystems erkranken (Vgl. SZ 15.11.90). Dies kann etwas damit zu tun haben, daß unter dem Einfluß solcher Kraftfelder die Produktion des Hormons Melatonin verringert. Eine Abschwächung dieses Hormons schwächt die körpereigenen Abwehrkräfte gegen Krebszellenwachstum vor allem der Haut und der Brust. Niederfrequente elektromagentische Felder haben aber auch Auswirkungen auf die Synthese von Eiweißen in den Körperzellen.

In Australien ist ein staatliches Gutachten aufgrund statistischer Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß Kinder, die einem elektromagentischen Feld ausgesetzt sind, mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit an Krebs erkranken wie andere Kinder. (Vgl. SZ 29.1.91). Eduard David (Prof. Dr. med.) und Jörg Reißenweber von der "Forschungsstelle für Elektropathologie" an der Uni Witten/Herdecke reagierten auf diese Meldung sofort mit öffentlich geäußerten Zweifen an den statistischen Methoden solcher Untersuchungen und meinten, es bestehe "kein Anlaß für eine vorzeitige Beunruhigung der Bevölkerung".

Elektromagnetische Umweltverschmutzung

Inzwischen richten sich die Bedenken auch gegen normale elektrische Leitungen und Elektrogeräte, die eigentlich abgeschirmt werden müßten, ganz zu schweigen von solchen Sachen wie elektrischen Heizdecken, Hochspannungsleitungen und Trafostationen, Fernseh- und Rundfunksendern in Wohngebieten oder Radarstationen. Soldaten, die radargesteuerten Raketenabschuß-Lafetten bedienen, wurde zum Schutz vor den Radarwellen das Tragen von Bleischürzen empfohlen.

Elektromagentische Wellen gefährden die Menschen auch indirekt, indem sie die Funktionsweise elektronischer Instrumente und Systeme stören. Computergesteuerte Flugzeuge dürfen nicht zu dicht an Sendeanlagen vorbeifliegen, weil sonst die Steuerungselektronik beeinflußt wird, sogar die Verwendung von lab-tops im Flugzeug kann schon die dortige Elektronik stören. In Japan sind Unfälle mit Robotern bekannt geworden, die auf "Umweltverschmutzung mit elektromagnetischen Wellen " zurückzuführen waren: die Roboter führten plötzlich andere, nicht einprogrammierte Bewegungen aus und es kam zu schweren Unfällen.

Die Gefährdung durch "elektromagnetische Umweltverschmutzung" rückt erst langsam ins Bewußtsein der Öffentlichkeit - vielleicht wurde das Thema auch künstlich zurückgehalten, weil sehr kostenintensive Forderungen der Bevölkerung nach Sicherungsmaßnahmen entstehen könnten.

Material/Kontakte:

* Untersuchungen des Zusammenhang von Magnetfeldern und Tumorbildung: Batelle Pacific Nothwest Institut, US-Staat Washington / Granger Morgan, Ingenieur und Prof. an der Carnegie-mellon University in Chicago

* Jiri Silny, Helmholtz-Institut für biomedizinische Technik in Aachen, Mitglied einer Kommission, die im Auftrag des VDI/VDE Grenzwerte für niederfrequente Magnetfelder entwickeln soll.

* In der Computerzeitschrift "c't" Nr.10, 1990 findet sich ein längerer Artikel zu Bildschirmabstrahlungen, u.a. eine Beschreibung für die Messung von elektromagentischen Feldstärken

* Ökotest 6/89, Artikel über "Strahlende Bildschirme

* kurz und informativ : Jeanne Rubner, "Wildwuchs im elektromagnetische Feld" in: Süddeutsche Zeitung, 15.11.90

* DFG-Forschungsprojekt, 1980-1982 durchgeführt von der GSF/Frankfurt und MPIF (Stuttgart) unter Leitung von Ludwig Genzel und Wolfgang Pohlit über die nicht-thermische WIrkung von Mikrowellen auf zelluläre Systeme.

* Dr. Andreas Varga, Hygiene-Institut Uni Heidelberg hat Mißbildungen von Hühner-Embryonen als Folge elektromagnetischer Strahlung nachgewiesen (Vgl. dessen Artikel in Funkschau 22/89)

* Am 21.-23. Nov. 1990 fand in Wien das 10. Kolloquium der Sektion Elektrizität der Internationalen Vereinigung für soziale Sicherheit statt. Thema u.a. "Biologische Wirkungen magnetischer Gleich- und niedefrequenter Wechselfelder" - offenbar doch ein Thema der Medizin ! (Infos anfragen bei: Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter Str. 65, A-1200 Wien, Tel.: 02 22/3301-537)

 

ROT-GRÜNE BTX-PROPAGANDA

Obwohl die Landesversammlung der GRÜNEN in Niedersachsen den Boykott von BTX beschlossen hat, jubelt der grüne Landesverband die Einführung neuer BTX-Anwendungen als positive Errungenschaften der rot-grünen Koalitionsvereinbarungen hoch.

Umweltministerin Monika Griefahn (green peace)" erklärte zu dem am 15. Juli 1990 in Betrieb genommenen BTX-Informationssystem "BTX-MU" des Ministeriums für Umwelt in Niedersachsen: "Eine moderne Umweltverwaltung kann auf die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechniken nicht verzichten, wenn es darum geht, Umweltschutz mit den verfügbaren Ressourcen wirtschaftlich und zweckmäßig zu gestalten" Die IuK-Techniken würden sowohl die Umweltverwaltung verbessern als auch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft fördern, meinte Griefahn. (NST-N 8/9/1990 S. 238 und HAZ 23.7.90)

In der Mitgliederzeitschrift des niedersächsischen GRÜNEN Landesverbandes wird dieser schon vorher gefaßte Beschluß so dargestellt, als hätte es der GRÜNEN bedurft, dieses System einzuführen: "Die teilweise sehr schwierigen und zähen Verhandlungen haben sich gelohnt: Das Ergebnis kann sich sehen lassen. (...) Die Mittel für den Ausbau der Kommunikations- und Datentechnik wurden entscheidend heraufgesetzt. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen, um z.B. Abfallerzeuger kontrollieren und Abfallströme überwachen zu können. Das Ziel, daß jedefrau Umweltdaten an zentralen Stellen abrufen kann, rückt ein Stück näher." (Grüne Zeiten, Nr. 4/91, S. 16)

Wenn so getan wird, als sei das von den GRÜNEN in "schwierigen und zähen Verhandlungen" erkämpft worden, dann kann das nun wirklich nur noch als dummes Gelaber bezeichnet werden. Andernorts hat z.B. das Umweltministerium der Bayrischen Landesregierung (CSU) schon viel früher ein BTX-Programm für die Publizierung von Meßdaten von Strahlen- und anderen Belastungen eingeführt. Das das noch nicht viel heißt, hat Thomas Vogler in der Süddeutschen Zeitung vom 11.9.90 am Beispiel des bayrischen BTX-Umweltprogramms aufgezeigt. Danach ereiferte sich Landesregierungs-Pressesprecher Gauß in der Propagandazeitschrift "BTX-aktuell", um die Vorwürfe Voglers zu entkräften: "Als böswillig und polemisch muß man die frei erfundene Behauptung einordnen, daß der Staat gar kein Interesse daran haben könne, im Fall einer Katastrophe selbst Meßwerte zu veröffentlichen, bevor Maßnahmen getroffen sind. (...) Es ist deshalb auch völlig abwegig, zu behaupten, die Daten würden `getrimmt' oder `kurzfristig gesperrt'." (BTX-aktuell, Nr. 42, 16. Okt. 1990, S.4ff). Thomas Vogler weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß bei einem Störfall Ende 1989 "zufällig" keine aktuellen Werte über das BTX-Umweltinformationssystem zu erfahren waren. - Wir erinneren uns an Tschernobyl.

 

DEMONSTRATION AUF DEM ELEKTRONISCHEN MARKTPLATZ

Als eine neue Stilrichtung der Demonstrationsformen entwickeln sich Proteste in elektronischen Netzen. Zum einen haben wir da den "BTX-Boykott" von BTX-Anbietern, die gegen Telefongebührenerhöhungen protestierten. Sie hatten als NetzteilnehmerInnen dazu aufgerufen, in der Zeit vom 28.1.91 bis 3.2.91 BTX zu boykottieren. In diesem Zeitraum wollten die protestierenden AnbieterInnen (voran der Chaos Computer Club) weder ihre Datenangebote aktualisieren noch irgendetwas am Programm arbeiten. Die die Mailbox-Betreiber werden durch höhere Telefongebühren noch mehr getroffen und deshalb griffen sie ebenfalls zu Boykottaufrufen und Streiks im Netz.

Eine andere Form der politischen Aktion von NetzteilnehmerInnen war der Aufruf des "Arbeitskreis Friedenswoche Oldenburg", der zum Boykott der Telefonrechnung aufrief: "Mindestens 10 % des Postunternehmens Telekom, das sind mehr als vier Milliarden Mark, fließen... in die Kriegsfinanzierung" - Künftig sollten deshalb auch 10 % der Fernmelderechnung einbehalten werden.

Diese Meldungen sind Anlaß für eine Vision: Es wird die Zeit kommen, da schaltest Du Deinen Televisor an und auf dem Bildschirm erscheint ein Transparent mit der Aufschrift "Abschalten!" - Du gehst ins Buchhaltungsprogramm: schon wieder nur Transparente, rufst irgendeine Textdatei auf: immer nur Transparente..... Protestierende Bits und Bytes, die elektronische Öffentlichkeit rebelliert auf dem elektronischen Marktplatz im globalen Dorf.

 

FACHTAGUNG "GEN- UND INFORMATIONSTECHNOLOGIE"

Mit der Verschmelzung von Gen- und Informationstechnolgogien wird sich eine Fachtagung des IKÖ und der Uni Dortmund am 7.10 (13.00 Uhr) - 8.10.91 (17.00 Uhr) in Dortmund beschäftigen. Zitat aus der Ankündigung:"Die Informatisierung macht nicht halt vor unserem Körper. Sie geht unter die Haut - bis in den Kern jeder einzelen Körperzelle, und dort scheint sie das Leben in seinem Innersten erfaßt zu haben: Die Basentripletts ersetzen den binären Computercode, jede Zelle ist ein Speicher für unser genetisches Programm. (...) Informationstechnologie und Gentechnologie beginnen , miteinander zu verschmelzen." Für den ersten Tag sind fünf Vorträge und eine Diskussion vorgesehen, am zweiten Tag soll es vormittags in Arbeitsgruppen weitergehen und nachmittags ein Plenum stattfinden. Vortragsthemen sind: Synergien bei Gen- und Informationstechnologien, Aktuelle Forschung, Informationsbegriff in den Naturwissenschaften, Biocomputer. Arbeitsgruppenthemen sind: Genomanalyse, Körperverständnis, Computer in der Gentechnik, Informationsbegriff der Biologie, Mensch/Maschine, Konvergenzen und Technologiekritik.

ReferentInnen und ModeratorInnen sind Ingrid Hüchtker, Ute Bertrand (Journalistinnen Dortmund), Beate Zimmermann (Ärztin, Essen), Cornelia Teller (Biologin, Darmstadt), Christian Sternberg (Journalist, Berlin), Norbert Cobabus (Personalrat Deutsche Bibliothek), Wilhelm Steinmüller (Rechtsinformatiker, Uni Bremen), Claus Eurich (Institut für Journalistik, Uni Dortmund), Christoph Ruprecht (Biologe, Bonn).

Kontakt/Informationen/Anmeldungen: Anmeldungen per Postkarte (Anmeldeschluß 15.9.91) an Institut für Journalistik, Universität Dortmund, z.Hd. Prof. Dr. Claus Eurich, Emil Figge.Str. 50, 46 Dortmund 50. Rückfragen: 0231/7552827 (Eurich), 0231/825263 (Ute Bertrand), 0231/837971 (Ingrid Hütchker). Tagungsbeitrag: 50 DM , Ermäßigt: 30 DM,

 

STADTZEITUNG ALS LOW-COST-PROJEKT

Ein Beispiel dafür, wie mit relativ wenigen Mitteln ein nichtkommerzielles Stadtzeitungs-Projekt aus der Taufe gehoben werden kann, ist die während des Golfkrieges entstandene "Göttinger Drucksache". Dabei handelt es sich um ein gefaltetes DIN A3 Blatt, also 4 DIN A4 Seiten für aktuelle Meldungen, das seit Januar 1991 regelmäßig wöchentlich mit einer Auflage zwischen 3000 und 5000 erscheint und ohne Anzeigen-Geschäft finanziert wird.

Pro Ausgabe sind für die Durckkosten ca. 300-400 DM nötig, d.h. monatlich 1600 DM. Da die "Drucksache" auf das Engste mit den unterschiedlichen Initiativen, Gruppierungen und alternativen Institutionen zusammenarbeitet, wurden während des Golfkrieges in Alternativcafes und Kneipen Preiszuschläge eingeführt, und daraus fließende Gelder z.T. für die "Drucksache" verwendet. Zukünftig ist es nur noch nötig, daß ca. 350 Personen eine Einzugsermächtigung für die monatliche Abbuchung von 5 DM zugunsten der "Drucksache" unterschreiben, dann ist das kontinuierliche Erscheinen gesichert. Der neu gegründete "Verein zur Förderung alternativer Medien" in Göttingen wird das Projekt unterstützen. Vereinszweck ist die Förderung aller Projekte, die eine Beteiligung bislang benachteiligter Gruppen an der "Produktion von Öffentlichkeit" ermöglichen.

Die "Drucksache" wird kostenlos verteilt, in Kneipen und Buchläden ausgelegt - und über die Initiativen, die auch Artikelmaterial zuliefern, verbreitet. Z.T. holen Beschäftigte aus größeren Betrieben einen Stapel des Stadtinfos "Drucksache" ab, um sie im Betrieb weiterzuverteilen.

Die Zeitungsgsgruppe besteht aus 10 Leuten, die sich wöchentlich in einer öffentlichen Redaktionssitzung treffen, anschließend die Artikel zusammenstellen und die Zeitung layouten. Dreh- und Angelpunkt des ganzen Konzeptes ist die Verankerung und Verbindung bei den unterschiedlichsten politisch und kulturell tätigen Gruppen. Diese Verzahnung muß personell instituionalisiert werden, d.h. es gibt Leute, die für die publizistische Betreuung mehrer Gruppen zuständig sind und das Scharnier zwischen Zeitung und Informationsquellen darstellen.

Nachdem in den letzten zehn Jahren sämtliche Magazin- und Zeitungsprojekte in Göttingen wegen zu hohem Geld- und Arbeitsaufwand zusammengebrochen sind, versucht das Stadtinfo "Drucksache" die publizistische Tätigkeit ohne Schnörkel auf das funktional notwendig zu beschränken - und hat bisher damit Erfolg. Göttingen hat wieder ein Organ der Gegenöffentlichkeit.

Kontakt: "göttinger Drucksache - wöchentliches Stadtinfo", Geiststr.1, 34 Göttingen, Postfach 1808, Tel.:0551/484545 (Montags 20-22 Uhr, Mittwochs 18-24 Uhr, zu anderen Zeiten Anrufbeantworter).

 

TELEKOMMUNIKATIONSKULTUR - COOL TOUR

Die Millionenbeträge für Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda zwecks Durchsetzung der neuen Telekommunikationstechniken erzeugen den Eindruck, es stünde vor allem eine Ausweitung der Kommunikationsmöglichkeiten bevor. In der Industriepropaganda wird der Austausch von Telefaxen z.B. als eine "Zunahme an Kommunikation" in der Gesellschaft gewertet.

Der Zweck-Enthusiasmus über die Entwicklung der Welt zu einem telekommunikativen, globalen Dorf, über Erreichbarkeit an jedem Ort und zu jeder Zeit etc. verdrängt systematisch einen Vergleich zwischen reduzierter technischer Kommunikation einerseits und der Komplexität direkt-menschlicher Kommunikation andererseits. Auf diesen Unterschied aber gilt es zu insistieren. So, wie in der Diskussion über "Künstliche Intelligenz" der prinzipielle Unterschied von Mensch und Maschine zu reflektieren ist, geht es nun darum, auf dem prinzipiellen Unterschied zwischen medialer und direkter Kommunikation zu beharren. In diesem Sinne gilt es zu verhindern, daß der Kommunikationsbegriff abstraktifizierend auf "Informationsaustausch" oder gar "Datenaustausch" verkürzt und mit Maschinenkommunikation gleichgesetzt wird.

Menschliche Kommunikationskultur ist komplex, kontextabhängig und körpergebunden. Technische Kommunikation erfaßt nur einen schmalen Ausschnitt aus der ganzen Palette menschlicher Ausdrucks- und Rezeptionsmöglichkeiten, während andere - vorwiegend an Körperlichkeit und Sinnlichkeit gebundene Kommunikationsformen brachliegen.

Telekommunikation (TK) beschränkt sich auf Text-, Daten-, Bild- und Tonübertragungen. Die Möglichkeiten auf diesem speziellen Sektor werden durch TK erheblich gesteigert. Dies darf aber nicht den Blick darauf verstellen, was verloren geht, wenn technische Kommunikation zur dominanten Komunikationsform würde. Zusammenfassend und mit einem Bild zu sprechen heißt das: Wenn mir ein einziges Haar besonders lang wächst, reicht das noch lange nicht für eine gute Frisur.

Die Annäherung an prinzipielle Grenzen technischer Kommunikation sei am Beispiel des Telefons erläutert:

Gegenüber der Textübertragung (ob Brief oder Fax) gibt das Fernsprechen zusätzliche Ausdrucksmöglichkeiten durch Veränderung der Lautstärke, Betonung, Stimmklang, Dialogverhalten wie gegenseitiges Unterbrechen, Schweigen, Pausen, Tonkommunikation durch Räuspern, Stöhnen, Ausrufe (oho, aha) oder Laute wie "mmh", "tz,tz,tz" usw.. Nun läßt sich das auch im Text schreiben, die Artikulationsmöglichkeiten der Geräusche umfaßt aber mehr als im Text möglich ist. So kann zwar ähnlich der Comic-Sprache z.B. "räusper,räusper" geschrieben oder sicherheitshalber einmal vermerkt werden "das ist ironische gemeint", aber Ironie, Zynismus, Trauer oder Freude, wie sie mit einer Stimme ausgedrückt werden können ist differenzierbarer. Weinen und Lachen sind textlich nicht reproduzierbare Tonkommunikation, auch wenn hochentwickelte Sprachfähigkeit eine Situation sehr intensiv textlich, bzw. verbal darstellen kann. Auch Sprechgeschwindigkeit und Hintergrundgeräusche können Informationsgehalt besitzen. Hintergrundgeräusche gehören zum "Kontext" und führen dazu, daß Aussagen anders interpretiert werden. Wenn im Hintergrund Schreibmaschinengeklapper zu hören ist, stellt das einen anderen Kontext dar als leise Musik oder Kindergeschrei.

Beim Fernsprechen bleibt eine Vielzahl von Ausdrucksformen, vor allem die visuelle Kommunikation ausgespart. Zwar kann z.B. parallel zum Fernsprechen ein Telefax mit einer Zeichnung oder einem Foto verschickt werden aber der durch Mimik und Gesten begleitete Dialog ist beim Fernsprechen nicht möglich. Die Weiterentwicklung zum Bildtelefon erlaubt auch nonverbale, mimische Kommunikation, die Körpersprache als Kommunikationsform bleibt dabei aufgrund des technisch vorgegebenen Bildausschnittes meist auf den Kopf bzw. das Gesicht beschränkt. Nun könnte der Bildausschnitt so groß gewählt werden, daß auch die Gesten der Hände oder der gesamte Körper sichtbar würde. Dann könnten weitere Möglichkeiten der visuellen Körpersprache zur Geltung kommen.

Beim Bildtelefon ist die Zahl der KommunikationspartnerInnen zumeist auf eine Person beschränkt, die Zusammenschaltung mehrerer KommunikationspartnerInnen erfordert eine Videokonferenz. Dabei ist allerdings auch die Zahl der TeilnehmerInnen technisch begrenzt, weil die Größe der Bildschirme nur das Einblenden einer bestimmten Anzahl von Portraitbildern erlaubt. Die Videokonferenz, gegenwärtig wohl die komplexeste Kommunikationssituation auf technischer Basis, ist jedoch auch nur eine Annäherung an prinzipielle Grenzen. All jene Kommunikationsmöglichkeiten, die an die gemeinsame Anwesenheit am gleichen Ort gebunden sind, bleiben ausgespart. Bestimmte Kommunikationssituationen wie z.B. ein "Arbeitsessen" oder der "Waldspaziergang" sind telekommunikativ nicht herstellbar, weil sie an Körperlichkeit, Atmosphäre, sinnlich wahrnehmbaren Kontext gebunden sind.

Die Wahl und evtl. die vorbereitende Gestaltung des Kommunikationskontextes sind bereits Teil der Kommunikation, denn sie signalisieren eine bestimmte Absicht, in welcher Weise kommuniziert werden soll. Spezifische Kommunikationssituationen herzustellen, gehört zu den kulturellen Errungenschaften der Gesellschaft. Sie sind in vielen Fällen an Körperlichkeit wie dingliche Umgebung gebunden also prinzipiell nicht telekommunikativ herstellbar, ein Verzicht darauf würde einen kulturellen Verlust darstellen.

Fühlen, Berühren, Händedruck, Umarmung, Riechen, Schmecken, sich Gegenstände reichen, das alles kann nicht telekommunikativ kommuniziert werden. Sinnlich wahrnehmbare Umgebungseinflüsse wie Licht, Temperatur, Luft etc. sind bei räumlich getrennten KommunikationspartnerInnen meist unterschiedlich, bilden unterschiedliche Umgebungen und Kommunikations-Kontexte. Hier besteht im Übrigen die Möglichkeit eine Verbindung zu sprachtheoretischen Überlegungen bezüglich der Kontextabhängigkeiten beim Sinnverstehen herzustellen. "Kontextabhängigkeit" und "Entsinnlichung der Kommunikation" sind wichtige Stichworte, entlang deren die kritische Betrachtung der Telekommunikation weiterentwickelt werden müßte.

Material: Dieser Beitrag basiert auf einem kleinen Textauszug aus der Aufsatz-Langfassung "Telekommunikationskultur - reduzierte Kultur" (g.j.schäfer) im Österreichischen Informatikforum Nr.4, Dezember 1990, S. 184 ff.

Kontakt: INFORMATIK FORUM, TU Wien, Treitlstr. 3, A-1040 Wien, Tel:58801/8120. (Hrsg.: Forschungsgesellschaft für Informatik FGI)

 

GEGENÖFFENTLICHKEIT

Auszug aus der neu-überarbeiteten Broschüre von Radio Dreyeckland (RDL): "Mit der Veröffentlichung von <Gegenmeinung> (gegen was?) kann es nicht getan sein! Wie wird veröffentlicht? Wie werden Informationen verarbeitet? Wie entstehen überhaupt Infos? Wer verarbeitet Informationen - vor allem zu welchem Zweck, in welchem Interesse?

Fragmente dieser permanenten Diskussion in der Info-Redaktion sind: Das Info räumt den Informationen aus und für die gesellschaftlichen und politischen Bewegungen <von unten> Vorrang ein. Das Info klopft die Verlautbarungen der gesellschaftlich mächtigen Gruppen daraufhin ab, was sie für Betroffene bedeuten. Das Info will in laufende politische Auseinandersetzungen eingreifen. Das Info will Standpunkt beziehen. Das Info will Hintergründe darstellen, Widersprüche benennen. Das Info will Kontroversen anregen, die Meinungsbildung der HörerInnen herausfordern.(...)

Das RDL-Tagesinfo sendet täglich ein Nachrichtenmagazin zwischen 18.00 und 19.00 Uhr, sowie am Samstag einen <Blick in die Woche>, die Rück- oder auch Vorschau in die politische Woche. Spätabendliche und auch morgendliche weitere Sendungen werden vorbereitet.

Das Info ist in Tagesteams (Gruppen zwischen ein bis vier Leuten pro Tag, nach oben hin gibt es keine Begrenzung) organisiert. Zusätzlich fließen Beiträge von Leuten ein, die gelegentlich ein Thema bearbeiten. Die Info-Redaktion arbeitet (wie alle RDL-Redaktionen) ehrenamtlich. EinE KoordinatorIn schafft die Grundlagen für die ehrenamtliche Arbeit und führt die Redaktionsmitglieder in die Arbeit ein."

Quelle: Radio Dreyeckland, Wie sieht so ein Freies Radio eigentlich von innen aus? - Das Freie, antikommerzielle, linke Regionalradio: Geschichte-Aufbau-Programm, Völlig neubearbeitete, verbesserte und verschönerte Neuauflage von "Dinosaurier im Ätherrausch", Freiburg 1991

Kontakt: Radio Dreyeckland, Adlerstr. 12, W-78 Freiburg, Tel.: 0761/31028 (Studio) und 0761/30407 (Büro des Freundeskreis RDL e.V.) für Kontakte speziell zur Info-Redaktion/Koordination: 0761/32324

 

NEUES VERZEICHNIS ALTERNATIVER MEDIEN ERSCHIENEN

Das ID-Archiv im IISG/Amsterdam hat wieder einmal das Ergebnis zweijähriger Fleißarbeit fertiggestellt. Auf 300 Seiten finden sich 70 Seiten redaktionelle Beiträge, u.a. über "Gegenöffentlichkeit", Knastzeitungen und ein "Infotelefon". Im Nachschlagteil enthält das Verzeichnis 1500 Adressen von Zeitschriften, Videogruppen, Radioinitiativen und neuerdings auch von Mailboxen. (Edition ID-Archiv, 1. Auflage Mai 1991, 28 DM)

 

RUNDFUNKBILDUNGSZENTRUM DORTMUND IST UMGEZOGEN

Das Rundfunkbildungszentrum (RBZ) ist umgezogen, es befindet sich seit 23.Mai nicht mehr in der Lindenhorststr. 38. Seine neue Adresse lautet: RBZ, Nollendorfplatz 2, 4600 Dortmund 16, Tel.: 0231/850081-5, Telefax: 0231/850035

 

BEACHTLICHE VERANKERUNG EINES PIRATENSENDERS

Ende Februar meldeten die Nachrichtenagenturen dpa und afp schwere Unruhen auf der Insel La Réunion (frz.) im Indischen Ozean. Anlaß war die Schließung und Beschlagnahmung eines seit 1986 aktiven TV-Piratensenders, der als Sprachrohr der kreolischen Bevölkerung galt. Es wurden zahlreiche Geschäfte geplündert, Neuwagen von Autohändlern gestohlen, zu Schrott gefahren und angezündet und Straßensperren errichtet. Acht Menschen kamen dabei ums Leben, mindestens sechzig Personen, darunter 43 Polizisten, wurden verletzt. Die 500 einheimischen Polizisten waren dem Ansturm nicht gewachsen, deshalb wurden vom französischen Verteidigungsministerium 150 Mann der Mobilen Gendarmerie zur Verstärkung geschickt.

 

 

REDAKTIONSSCHLUSS für die nächste Nummer (3/91) ist der 6. September 1991