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Vorratsdatenspeicherung

Podiumsdiskussion 5.6.08

Zur aktuellen Debatte um Datenschutz, gesetzliche Vorgaben und die Praxis der Datenspeicherung fand am Donnerstag, 5. Juni, eine Podiumsdiskussion statt. Unter der Moderation von Martin Maecker (JT) diskutierten der Künstler und Netzaktivist padeluun (u.a. Vorsitzender des FoeBuD e.V., Jurymitglied der BigBrother-Awards), der Geschäftsführer der Göttinger SerNet Service Network GmbH Johannes Loxen, der Polizeigewerkschaftler Martin Hellweg (Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der GdP) und der Kasseler Rechtswissenschaftler Christoph Schnabel über aktuelle Entwicklung und gesellschaftliche, juristische und wirtschaftliche Aspekte des Themas. Die Veranstaltung war Teil der vom Göttinger Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, des dem Chaos-Computer-Clubs assoziierten Chaos-Treff Göttingen und der Basisgruppe Jura an der Universität Göttingen. Weitere Informationen: www.ich-hab-doch-nichts-zu-verbergen.de


Loxen (SerNet/Göttingen) , Schnabel ( provet, Uni Kassel)


Hellweg (Polizeigewerkschaft), padeluun (Künstlername / foebud Bielefeld), Maecker (jT)

Notizen aus Beiträgen der Diskussion von Podium und Publikum

(überarbeitet 8.6.08) Etliche Entscheidungen zur Einführung neuer "Sicherheitstechnik" wie z.B. die veränderte Ausstattung des Personalausweises (mit digitalisietem Foto und digitalem Fingerabdruck) , Vorratsdatenspeicherung oder Videoüberwachung sind auf die Interessen aus Wirtschaftskreisen zurückzuführen, denen die Umsetzung entsprechender Beschlüsse bessere Umsätze bescheren. Eine Nutznieserin der neuen Pass- und Personalausweisregelungen ist die inzwischen privatisierte Bundesdruckerei. Hier mutmaßte man sogar Beraterverbindungen zwischen Bundesdruckerei und ehemaligem Innenminister.

Das Schüren von Angst soll eine Legitimationbasis für den Aufbau von Herrschaftstechniken in der Öffentlichkeit schaffen. Kontroll- und Überwachungstechniken können in der Hand totalitärer Regime mächtige Herrschaftsmittel werden. Ihr Gefährdungspotential ist daher im Grunde gegen die gesamte Bevölkerung gerichtet. Die Erfahrungen des Hitlerfaschismus und jeder anderen Diktatur lassen erahnen, was es bedeutet, wenn ein Regime in einer derart hochtechnisierten Gesellschaft Zugriff auf zentrale technisch Überwachungseinrichtungen hat. Nach 1945 hätte niemand eine Vorratsdatenspeicherung politisch durchsetzen können, zu klar war jedem die Gefahr der Verdatung. So hatte die Volkszählung bei den Nazis damals die Grundlage für spätere "Aussonderungen" gegeben.

Die Abhör- und Überwachungsskandale schaffen in weiten Teilen der Bevölkerung ein Bewußtsein davon, was bereits an Überwachung praktiziert wird. Es entsteht das Gefühl nicht mehr unbeobachtet zu sein, das Gefühl, dass der Standort über das Handy verfolgt werden kann, das Gefühl dass Emails uns SMSn mitgelesen werden können, Telefone abgehört werden und riesige personenbezogene Datensammlungen existieren, über deren Anwendung man nichts genaues weiß. Daraus entsteht eine Schere im Kopf, eine Schere im Gefühl, eine Beklemmtheit, die zu Verhaltensänderungen führt und Duckmäusertum fördert.

Das Herausfiltern von E-Mails nach bestimmten Kennwörtern ist kein Science Fiction sondern wird bereits praktiziert, allerdings unter einem anderen Namen "Spamschutz". Die dazu gehörenden Techniken müssen nur andersherum angewandt werden: also der User wird nicht vor unerwünschten Mails geschützt, sondern Mails mit bestimmten Inhalten werden herausgefiltert um Informationen über Menschen zu sammeln.

Auf die Kritik an der Überwachtungstechnologie und Vorratsdatenspeicherung wird immer wieder geantwortet, dass gegen Straftäter/innen isnbesondere bei Kinderpornographie im Internet, gegen Terroristinnen und Terroristen aber auch gegen Gewaltkriminalität im Alltag Überwachung und Datensammlung notwendig seien. Die Anwendung der Überwachungstechnik durch diktatorische Regimes wird nicht als Gefahr akzeptiert "Wir die herrschende Regierung, wir sind doch die Guten". Will man diese Argumente auflösen und grundsätzlich Systeme der Überwachung, der zentralen Datensammlungen und Langszeitspeicherung verhindern geht das nur indem man andere Methoden zur Verhinderung von Kriminalität und Terrorismus aufzeigt. Zur Verdeutlichung einer anderen Orientierung mag folgender Satz dienen "Baut den Kindern Schlösser, dann müßt ihr später keine Gefängnisse bauen". Wer für Ausbildung, Bildung und soziale Sicherheit sorgt, muß keine aufwendige Sicherheitstechnik zur Vermeidung von Alltagskriminalität bei Jugendlichen aufbauen. Wer "die Demokratie am Hindukusch" verteidigen will und sich überall in der Welt einmischt, wer durch wirtschaftliches Ungleichgewicht die Armut in anderen Ländern aufrechterhält, schafft erst die Gefahr des internationalen Terrorismus gegen den dann der Sicherheitsstaat im Inland aufgebaut wird.

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