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Experiment Geschwindigkeit
Daniel Ott "beschleunigung lokhalle 9/04"
11.9.04 Lokhalle Göttingen

> Experiment Geschwindigkeit
> il Treno John-Cage Projekt wiederaufgeführt
>> http://www.danielott.com

Raum- und Material-Klangkunst mit bewegten Menschen
Konzertbericht , G.J. Schäfer

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Kleine Gruppen von Musikern bezogen wechselnde Standorte

Nennen wir es mal "Raummusik" was da stattfand. Die Musik durchquerte den Raum und machte Räumlichkeit hörbar. Kleine Gruppen mit Streich- und/oder Blasinstrumenten standen wechselnd an verschiedenen Standorten, manchmal im Laufschritt zum nächsten Ort unterwegs. Akkordeon, Bassgitarre, Gesang waren verteilt im Raum.

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Bild links: Oben unter dem Dach ein Horn-Bläser, Bild rechts: diagonal im Raum gegenüber auf einer Hebebühne hinter Stahlträgern ein Trompeter.

Aber nein es war mehr, es war auch "Material-Musik". Die Musik bzw. die Töne und Geräusch wurden auch mit den materiellen Elementen des Gebäudes erzeugt: Hämmern an den Stahlträgern, Kratzen über den Boden, Schlagen an Stahlplatten und Schienen.

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Bild links: Mit einer Stahlrute wird über eine Eisenplatte an der Wand gestrichen, Bild recht: Trommelstöcke werden über den Boden gerollt und gezogen

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Die Lokhalle als Musikinstrument
Bild links: An den Dachstützen aus  Stahlträgern wird gehämmert, getrommeln, gestrichen.
Merkwürdig dass Leute vom Notenblatt ablasen, wie sie mit dem Hammer auf einen Stahlträger zu schlagen haben. Zwischendurch schauten diese "Material-Percussionisten" auf ihre Uhren um den Einsatz zu synchronisieren.

Zum Bild unten rechts: Eine Eisenbahnschiene, die an Drahtseilen schwingt. Hämmer, Steine oder Metallstäbe wurden abwechselnd darangehalten und erzeugten beim Entlangschaben Geräusche, die Teil der Gesamtkomposition waren.

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Bild links mit Trommelstöcken wird über die Fugen einer Abdeckung gestrichen, Bild rechts: an eine hin und her schwingende Eisenbahnschiene wird ein Eisenhammer gehalten, der durch das Entlangschaben ein klingendes Geräusch erzeugt.

So wurden aus dem Gebäude Geräusche herausgeholt, die seine Geschichte hörbar machten, in der Metallarbeiten die tägleichen Lokhallengeräusche ausmachten.

Aber es war auch Musiktheater: auch die Bewegung des Publikums im Raum schien Bestandteil der kompositorischen Planung eines Gesamtkunstwerkes zu sein. Einige Leute stellten anfangs mißmutig fest, dass es keine Bestuhlung gab, lediglich Pappkartons standen zur Verfügung und die reichten nicht für alle. Dann aber stellte sich heraus dass Bestuhlung auch nicht nötig war. EIne feste Bestuhlung wäre sogar hinderlich gewesen. Es gab nicht das gewohnte "Dort die Musik auf der Bühne und davor das Publikum", denn die Musik war überall verteilt und fand ständig woanders statt, verblieb aber dabei in ein und demselben Raum.

ott17.JPG (22364 Byte)Viele Leute aus dem Publikum  und die meisten Musiker waren immer wieder  mit Ortswechseln beschäftigt.

Die Menschen konnten umhergehen, Standort und Perspektive wechseln. Die Bewegung der Menschen im Raum folgte den Ortswechseln der Musiker bzw. dem Wechsel wo jeweils die Musik zu spielen schien. So wurde die Bewegung des Publikums ein Teil der Aufführung.

ott18.JPG (28151 Byte)Einige legten sich hingegen ausgestreckt auf den Hallenboden um sich ganz meditativ den Klängen hinzugeben.

Ein beeindruckendes Erlebnis, das im wahrsten Sinne des Wortes "nach-hallt" und zwar als Hall der Klänge und der Lok-Hallen-Raumerfahrung.

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Daniel Ott, 12.9.04 bei "il treno"
Daniel Ott vereinigt aufgrund seiner Arbeitsbiographie Elemente, die in dem "Crossover" von "Klangkunst", "Experimentelle Musik", "audio-art", "Neue Musik", "Musiktheater", Komponieren, Performen und Improvisieren zu einem Gesamtkunstwerk  verschmelzen. Er hat Klavier, Pantomime, Komposition studiert aber auch in freien Theatergruppen Straßentheater gemacht. Daniel Ott ist jetzt freischaffender Komponist mit Arbeitsschwerpunkt Neues Musiktheater. Seit 1995 für Experimentelle Musik an der HdK Berlin. Seit 1990 obliegt ihm die künstlerische Leitung des Festivals „neue musik rümlingen".

Anekdotischer Nachtrag: Das ganze Konzert fing mit einer ca. 10 minütigen Phase des Schweigens und der Stille an, die leider durch das kleine Mißgeschick eines Reporters (*räusper - sorry nochmal) gestört wurde, als er gegen eine Leinwand geriet hinter der nicht sichtbar ein Fahrrad lehnte, das dadurch zum Umkippen gebracht wurde und auf den Boden krachte. Nennen wir es mal "Einbruch akzidentieller Gegenwartsrealität in den kompositorisch determinierten nicht klingenden Raum" und erklären es zum Bestandteil der Performance - fertig!

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Uraufführung von Daniel Ott: "beschleunigungen.lokhalle.11/04"
Ausführende - Informationen des Veranstalters
Christophe Dufaux, Akkordeon
Jan Schlegel, E-Bass
Michael Hartmann, Trompete
Julia Hansen, Stimme
Co Streiff, Saxophon
Rajesh Metha, Trompete
Tim Hoheisel, Saxophon
Ove Volquartz, Saxophon
Benjamin Kreische, Saxophon
Christoph Kirst, Schlagzeug
Jie.Goo Lee, Schlagzeug
Jan B. Leukefeld, Schlagzeug Stephan Meier, Schlagzeug Bernd Nawothnig, Schlagzeug
Gereon Voss, Schlagzeug
Josa Gerhard, Geige
Mokkapan Ponghpit, Geige
Ruth Pape, Viola
Benedikt Bindewald, Viola
Charlotte Jacke, Cello
Anna Stark, Cello
Helen Bubach, Kontrabass
Franzisko Hidalgo, Kontrabass

Biografien:

Daniel Ott:
Geboren 1960 in Grub (Appenzell/Schweiz). Er studierte Komposition bei Nicolaus A. Huber (Essen) sowie Klaus Huber (Freiburg i.B.). Seit 1995 ist Daniel Ott Lehrbeauftragter für Experimentelle Musik an der Universität der Künste Berlin. Ein zentrales Thema im Werk von Daniel Ott ist die klangliche Erkundung von Landschaft und Räumen. Mit spektakulären Klanginstallationen ist er einem breiten Publikum bekannt geworden. Zu den Arbeiten der letzten Jahre gehören seine Raumkompositionen für den Schweizer Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover, für die Flughalle des Verkehrshauses in Luzern (2001) sowie seine Klang- und Landschaftsaktionen im Hafen von Saßnitz (Rügen, 2002) und am Skilift Heiligkreuz/Entlebuch (2003, gemeinsam mit Hugo Gretler). Daniel Ott gründete 1990 das Festival »neue musik rümlingen«.

Christophe Dufaux:
Geboren 1965 in Tramelan, lernte im Alter von sechs Jahren das Akkordeonspiel bei Georges Richard. 1988 begann er das Berufsstudium am Konservatorium Biel bei Teodoro Anzellotti, wo er 1995 das Konzertreifediplom erhielt. Christophe Dufaux beteiligte sich an an zahlreichen Uraufführungen (OSR, Basel Sinfonietta, Maison de la Culture-Paris) als Solist und als Kammermusiker, u.a. im Duo Pictogramme (Violine-Akkordeon).

 Julia Hansen:
Geboren in Kotagiri, Süd-Indien und aufgewachsen in Afrika, studierte an der Folkwang-Hochschule in Essen Schauspiel, Gesang und Tanz und beendete ihr Studium 1995 mit dem Diplom. Von 1996 bis 1999 war sie als Schauspielerin am Stadttheater Bielefeld engagiert. Danach wechselte Sie ans Deutsche Theater in Göttingen. Parallel zu Ihrer Schauspiellaufbahn widmet sich Julia Hansen dem Jazz. Aus Ihrem Duo mit dem Akkordeonspieler Jörg Siebenhaar wurde im Jahre 2000 ein Quartett, mit dem sie erfolgreich ihr erstes Programm »How high the moon« auf die Bühne brachte. Es folgten zahlreiche Auftritte, ein neues Programm und auch die erste CD.

Co Streiff:
Seit 1983 in diversen Bands und Projekten wie »Arkadas«, »Kadash« und »Tobende Ordnung«. Ab 1986 Zusammenarbeit mit Irène Schweizer. 1988-94 Mitarbeit im »Vienna Art Orchestra«. 1988-96 interkulturelle Projekte mit dem Circustheater »Federlos« in Afrika. 1996-98 Förderung durch Pro Helvetia Kairo. 2000 Tour mit »Kadash« in Kirgistan und mit dem Trio Weber / Flükiger in Kuwait in Zusammenarbeit mit kuwaitischen Musikern. Mehrere Auszeichnungen und renommierte Kompositionsaufträge. 11 wichtige CDs.

Rajesh Metha:
Geboren 1964 in Kalkutta, Indien, wuchs in New Jersey auf und begann mit 10 Jahren seine Trompeten- und Musik-Studien. Seit 1991 lebt und arbeitet er als professioneller Musiker und Komponist in Europa. Metha spielt eine selbst entwickelte »Hybrid Trumpet«, bei der 2 oder mehr Trompeten mit Plastikschläuchen verbunden sind. Er spielt in verschiedenen Ensembles mit Musikern wie Paul Lovens, Rohan de Saram (Arditti String Quartett) oder Trichy Sankaran. Mehrfach erhielt er Auszeichnungen für seine innovativen Ideen und wurde zu verschiedenen Festivals als »Artist in Residence« eingeladen. Metha hat diverse CDs aufgenommen.

Jan Schlegel:
Besuchte die Jazzschule in Luzern, nahm an Workshops bei Ray Anderson und Christy Doran teil. Spielte in verschiedenen Bands aus den Bereichen Jazz, Freie Improvisation, Noise, Rock, Film- und Theatermusik. Auftritte in vielen renommierten Jazzfestivals, Touren mit »Alienstalk« (mit Luigi Archetti), »SH«, »Frank & Frei« und »Billiger Bauer«. Mindestens 5 wichtige CDs.