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Demonstrationsrecht in der Weender Straße eingekesselt

Räumung in Erfurt: Spontane Demonstration in Göttingen 16.4.09
Was war in Erfurt passiert?
Videos von der Räumung
Aus einer Mitteilung der Gruppe redical m vom 17.4.09 17.4.09
Auszug aus einer anonymen Mitteilung (squat an) 17.4.09
Kommentar goest 17.4.09

 

Juristisches Vorgehen gegen Kessel und Abfilmen

16.3.10 / Ursprünglich war für 17. März 2010 beim Verwaltungsgericht Göttingen eine Überprüfung der Rechtsmäßigkeit des Kessels und der Videodokumentation im Zusammenhang mit einer Demonstration am 16.4.2009 vorgesehen. Nachdem die Polizeidirektion die Einkesselung der Demo vor einigen Tagen als rechtswidrig anerkannt hat, hat sie nun auch einen Rückzieher bei den Filmaufnahmen der Demo gemacht und zwei Tage vor Prozessbeginn das Filmen selbst als nicht rechtmäßig anerkannt. Wir erwarten in den nächsten Tagen hierzu noch eine ausführliche Pressemitteilung.

Pressemitteilung Sven Adams 12.3.10 / "Am Vormittag des 16. April ´09 wurde mit einem großen Polizeiaufgebot das besetzte Topf & Söhne Gelände in Erfurt geräumt. Aus Protest dagegen fand unter anderem auch in Göttingen eine Spontandemonstration statt. Bereits nach wenigen hundert Metern wurde die friedliche Demonstration von der Polizei eingekesselt. Im weiteren Verlauf des ca. 3 Stunden andauernden Kessels nahm die Polizei von allen ca. 60 Personen die Personalien auf. Sowohl die Demonstration als auch der Kessel wurden während dieser Zeit permanent abgefilmt. Politisch ist dieses Verhalten der Polizei ein Skandal, knüpft sie damit doch an ihre repressive Strategie an, die jede linke Meinungsäußerung kriminalisieren und verhindern soll. Auch im juristischen Sinne ist dieses Vorgehen sehr zweifelhaft. Daher haben zwei Betroffene gegen die Einkesselung und die Filmaufnahmen beim Verwaltungsgericht Göttingen geklagt. Hinsichtlich der Einkesselung hat die Polizeidirektion die Rechtswidrigkeit inzwischen anerkannt. Das Verwaltungsgericht Göttingen hatte bereits in einem Beschluss vom 26.11.2009 mit deutlichen Worten klar gestellt, dass es die "Einschließung der Demonstrierenden" für rechtswidrig halte. Bezüglich der Filmaufnahmen wurde bereits in einem ähnlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Münster im Sommer 2009 die Anfertigung derselben für unrechtmäßig erklärt: Die "bloße Aufnahme" des Demogeschehens sei bereits ein rechtswidriger Grundrechtseingriff. Darüber hinaus beeinträchtige die Videoüberwachung während einer Demonstration das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Az.: 1 K 1403/08). Der die Klagenden vertretende Rechtsanwalt Sven Adam erwartet daher nun noch hinsichtlich der Filmaufnahmen ein richtungweisendes Urteil mit weitreichender Bedeutung für zukünftige Demonstrationen nicht nur in Göttingen."

Räumung in Erfurt: Spontane Demonstration in Göttingen

17.4.09 / Nach Bekanntwerden der Räumung eines besetzten Hauses in Erfurt kam es am Donnerstag den 16.4.09 zu spontanen Protesten ab 18 Uhr am Gänseliesel. Unter dem Motto: "Solidarität mit dem geräumten Haus in Erfurt" zogen ca. 65 Personen in einer Demonstration über die Weender Straße. Gegen 19 Uhr wurde der Demonstrationszug an der Ecke Jüdenstraße gestoppt und von Polizei eingeksselt. Die Polizei verlangte die Benennung eines "verantwortlichen Versammlungsleiters." Die DemonstrantInnen akzeptierten dies nicht und wollten aus dem Polizeikessel ausbrechen.

Der Polizeibericht schrieb danach:Die Polizei beschrieb das anschließend in ihrer Pressemitteilung als "Gewalttätige Auseinandersetzungen bei unfriedlicher Demonstration gegen Häuserräumung." (es kam) "zu Übergriffen gegen die eingesetzten Polizeibeamten. So versuchten zunächst Demonstranten im hinteren Bereich des Aufzuges und anschließend auch alle anderen, die von den Einsatzkräften gebildete Polizeikette gewaltsam zu durchbrechen. Die Beamten mussten vereinzelt ihren Schlagstock, einfache körperliche Gewalt sowie Pfefferspray einsetzen, um die gegen sie gerichteten, gewalttätigen Angriffe abzuwehren bzw. die Versammlungsteilnehmer abzudrängen." Die Demonstration wurde gegen 18.45 Uhr von der Polizei für aufgelöst erklärt, 56 Personen mußten Identitätsfeststellungen erdulden und bekamen Platzverweise ausgesprochen . Darüberhinaus wurden "56 Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs und eines wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz" eingeleitet.

Rechtlich fragwürdig

Artikel 8 des Grundgesetzes lautet: "(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Das Versammlungsgesetz sieht für Versammlungen unter freiem Himmel eine Anmeldung vor. Spontane Versammlungen aus aktuellem Anlass unterliegen auch ohne Anmeldung dem Schutz des Art. 8 Grundgesetz. Für Demonstrationen gilt das gleiche Recht wie für Versammlungen. Die Polizei schien dieses Recht zur spontanen Demonstration auf eine "stationäre Versammlung" beschränken zu wollen. Demonstrationen können jedoch nur verboten werden, wenn die Demonstration unmittelbar die "öffentliche Sicherheit oder Ordnung" gefährdet.
Die Nicht-Benennung eines Versammlungsleiters wurde von der Polizei als Begründung für die Einschränkung eines Grundrechtes herangezogen. Darüberhinaus wurden die DemonstrationsteilnehmerInnen mehrere Stunden durch einen Polizeikessel ihrer Freiheit beraubt. Der Versuch, sich dagegen zu wehren beantwortete die Polizei mit Identitätsfeststellungen und Anklagen wegen Landfriedensbruch.
(Wo leben wir hier?)

Was war in Erfurt passiert?

In Erfurt wurde am Morgen ein seit 8 Jahren besetztes Gebäude der ehemaligen Ofenfabrik "Topf & Söhne" mit einem massiven Polizeiaufgebot geräumt. Diese ehemalige Ofenfabrik hatte u.a. Verbrennungsöfen für ein KZ in der Nazizeit gebaut. Die BesetzerInnen hatten in dem Wohn- und Veranstaltungsprojekt mit Konzerten, Lesungen, Diskussionen und Führungen durchgeführt, die an diese Geschichte des Firmengebäudes erinnerten. Die Domicil Hausbau GmbH als neuer Besitzer des Areals will auf dem Gelände Wohn- und Gewerbeflächen errichten. Durch die Räumungsklage des Investors kam es jetzt zur Räumung bei der ein massives Polizeiaufgebot aus Thüringen, Sachsen, Bayern und Hessen beteiligt war. Der erste Videofilm in der Linkliste unten zeigt, daß die Beamten (Korrektur:) Waffen in Anschlag bringen bei denen aufgrund der schlechten Bildqualität nicht genau gesagt werden kann ob es Maschinenpistolen oder Waffen zum Verschießen von Tränengasgranaten sind. Es kam zu Abseilaktionen aus zwei Hubschraubern. Im Nachhinein wurde versucht, den BesetzerInnen die Verwendung von Waffen anzudichten: so hieß es bei Durchsuchungen seien Nagelbomben, Molotow-Cocktails, Äxte, Messer und eine Machete gefunden worden.." und ein Polizeisprech behauptete im MDR "die Besetzer hätten sich offenbar auf "Krieg" eingestellt. Die einzige "Waffe" die in den Videofilmen zu erkennen sind: einerseits Steine aus dem Haus (allerdings auch in lebensgefährlicher Größe) und andererseits friedliche Sitzblockaden vor dem Haus. Auf Seiten der Polizei eine Aktion mit Abseilen aus Hubschraubern und (Korrektur:) Waffen unklarer Art ! Die Polizei hat sich offenbar auf "Krieg" eingestellt.

Zunächst haben wir aufgrund dieser Aufnahme erschrocken vermutet, es handele sich um Maschinenpistolen. Da die Polizisten Gasmasken tragen handelt es sich eher um Waffen zum Verschiessen von Tränengas
Bild: Einzelbild aus dem Räumungsvideo der filmpiraten

E-Mail - Zuschrift zur Frage der Waffen: "In diesem Artikel wird (...) gesagt: Da die Polizisten Gasmasken tragen handelt es sich eher um Waffen zum Verschiessen von Tränengas. Genau genommen sind das Granatwerfer. Aber worauf ich eigentlich hinauswill: daß auch Maschinenpistolen und Schrotgewehre im Einsatz waren." siehe >>Bildhinweis

Videos von der Räumung Teil1 und Teil 2 vom 16.4.09
http://www.youtube.com/watch?v=B1VafoOfUoc
http://www.youtube.com/watch?v=u7_PeRub-0U


Aus einer Pressemitteilung der Gruppe redical m vom 17.4.09
"Aus Solidarität mit den BesetzerInnen und aus Protest gegen den Polizeieinsatz versammelten sich noch am gestrigen Abend 70-80 Menschen in der Göttinger Innenstadt. Unter dem in Göttingen üblichen Vorwand, dass die Demonstration nicht angemeldet sei, wurde die Demonstration kurz vor Ende der Fußgängerzone durch die Polizei gestoppt und eingekesselt. Als TeilnehmerInnen versuchten aus dem Kessel auszubrechen, setzte die Polizei Schlagstöcke und Pfefferspray ein. 56 Menschen wurden vorläufig Ingewahrsam genommen und mit Strafanzeigen belegt. Die letzten Menschen konnten den Kessel erst nach dreieinhalb Stunden wieder verlassen. Ganz offensichtlich war es von Anfang der politische Wille der Polizeiführung diese Demonstration zu verhindern und an den TeilnehmerInnen ein Exempel zu statuieren (...). Denn eine Anmeldung (ist) versammlungsrechtlich bei Spontandemonstrationen nicht notwendig. (...). Dass in letzter Zeit auch einmal Demonstrationen in Göttingen unangemeldet gegen die Polizei durchgesetzt wurden, scheint der Polizeiführung immer noch ein dicker Dorn im Auge zu sein."

Auszug aus einer anonymen Mitteilung
(Die Mitteilung war mit dem Absender "Squat An" versehen. Squatter wird international als Begriff für BesetzerInnen benutzt - vgl. das Hausbesetzer-Netz http://squat.net/de/)

"Es versammelten sich 60 Menschen am Marktplatz und zogen über die Weender Straße in Richtung Weender Tor. Am Carré wurden sie durch Polizeikräfte aus Göttingen und Braunschweig daran gehindert, die Demonstration fortzusetzen. In diesem Zusammenhang kam es von Seiten der eingesetzten Beamt*innen zu gewaltsamen Übergriffen, wie u.A. Faustschlägen gegen Gesicht und Oberkörper der Demonstrierenden. Unter dem pauschalen Vorwurf des Landfriedensbruchs, wurden alle Teilnehmenden der Demonstration einzeln aus dem Polizeikessel geführt. Sie wurden einer Leibesvisitation unterzogen – mitgeführte Gegenstände wurden protokolliert und mindestens zwei Transparente, aus bisher unbekannten Gründen, beschlagnahmt. Ein eilig herbeigerufener Anwalt konnte die Ingewahrsamnahme, das Abfilmen und -fotografieren einzelner Demonstrant*innen verhindern. Es dauerte drei Stunden bis die letzte der eingekesselten Personen wieder frei war. In dieser Zeit solidarisierten sich Bürger*innen mit den eingekesselten Personen in Form von Musik, kollektiven Zurufen („Eins, Zwei, Drei, lasst die Leute frei“) und Verpflegung (Wasser und Süßigkeiten)."

Kommentar goest :
Mit etwas Abstand mag folgende Überlegung vielleicht hilfreich sein: Die Erfahrung zeigt, daß Menschen, die ihren Namen für eine Demo hergeben oder deren Namen der Polizei sonstwie bekannt ist bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten später als Schuldige für dies und jenes herausgeguckt werden. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn sich niemand dazu drängt als Versammlungsleiter/in für eine Demonstration aufzutreten. Andererseits zeigt sich im Nachhinein, daß man nicht in der Lage war, die Identitätsfeststellung von 56 Personen zu verhindern. Damit hat man quasi den 56fachen Schaden erlitten gegenüber der Benennung einer einzigen Person als Versammlungsleiter/in. Zu der Identitätsfeststellung kommt nun noch der Stress und evtl. Kosten mit Anklagen wegen Landfriedensbruch hinzu. Bei einer realistischen "Kosten/Nutzen"-Einschätzung wäre es also schadensbegrenzend gewesen, hätte sich eine einzige Person bereit erklärt als Versammlungsleiter/in aufzutreten. Überdies wäre bei einer Demonstration unter dem Schutz des Versammlungsrechtes die Polizei noch eindeutiger zum Schutz der Veranstaltung verpflichtet gewesen Die Polizei wäre damit beim Versuch einer Behinderung rechtlich eher in der Defensive gewesen. Vielleicht sollte gängiges Recht etwas geschickter genutzt werden - solange dieses noch gilt und die geplante Verschärfung des Versammlungrechts noch nicht durchgesetzt werden konnte.

 

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