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nach Barrierefreiheit in Göttingen
Ein
Rundgang in Sachen Barrierefreiheit an der Uni Göttingen
15.2.10
/ Jenny aus Lüneburg hat Probleme mit ihren Beinen. Sie kann nicht gehen.
Nur ganz kurz kann sie einmal aufstehen und das darf sie nicht zu oft machen,
weil die Probleme sonst noch schlimmer werden - gerade jetzt nachdem sie wieder
operiert wurde. Aber sie hat sich schulisch eine Studienberechtigung erarbeitet
und hat ein Stipendium der gewerkschaftsnahen Studienstiftung zu bekommen. Sie
hatte bei der Uni Göttingen nachgefragt, ob sie denn hier Bedingungen vorfindet,
die ihr als Rollstuhlfahrerin überhaupt ermöglichen, die Räume
zu besuchen und Einrichtungen zu benutzen. Da man ihr das zusicherte, schrieb
sie sich zum Studium der Geschichte und Romanischen Philologie in Göttingen
ein. Nun traf sie gleich zu Beginn auf viele Hindernisse, die ihr ein reguläres
Studium unmöglich machen.
| Erste
Station: Verfügungesgebäude VG - Der Eingang ist o.k., die Tür
geht automatisch auf aber dann ist auch schon Schluß mit barrierefrei. Die
schweren Türen im Gebäude und die Schwenktür des Aufzuges können
von Jenny nicht geöffnet werden, es sei denn, sie quält sich aus dem
Rollstuhl hoch - wovon ihr medizinscher Sicht ernsthaft abgeraten wurde. Die Idee
einiger Teilnehmer: "der Hausmeister könnte doch ..." führt
zu nichts, der Hausmeister ist anderweitig unterwegs, wie so oft. | | Nachdem
sich das VG als wenig erfreulicher Ort für Menschen mit Behinderung präsentierte
geht die Rundgang-Karawane in den Fachbereich Geschichte und Romanische Philologie
auf dem alten Kliniksgelände. | | Bei
Schnee- und Eis, wenn Menschen ohne Behinderung sich schon beim Fortbewegen behindert
fühlen, kommen noch zusätzliche Schwierigkeiten für RollifahrerInnen
hinzu. Da braucht es manchmal schon zwei Leute, um ein Hindernis zu überwinden.
| | Jenny
demonstriert ihre Erfahrungen beim Versuch, in einen Veranstaltungsraum zu kommen,
der auf ihrem Stundenplan stand. Das
Foto zeigt nur den Anfang von Unmöglichkeiten, die noch folgen - am Ende
wäre oben noch eine enge Treppe zu bewältigen.
| | Eine
freundliche Dame aus der Raumverwaltung wird auf den Rundgang aufmerksam und meint,
man könne doch über alles reden und alles regeln. dass dies nicht ganz
so einfach ist erweist sich, als man sie beim Wort nimmt und fragt, wie die Studentin
in den Raum im oberen Stockwerk kommen soll. Sie verweist auf einen Aufzug, der
um die Ecke zu finden sei, so einfach sei das. | | Gesagt
getan - auf zum investigativen Journalismus - alle marschieren zum Aufzug - wunderbar,
sogar eine Rollstuhlrampe - ABER: die Tür zum Aufzug ist verschlossen. UND
ausserdem: der Aufzug geht sowieso nicht bis in die Etage des Veranstaltungsraumes.
Quod erat demonstrantum. | | In
den Institutsgebäuden der Philo gibt es wenigstens einen Aufzug, der auf
die Ebene der Bibliothek führt ; allerdings weit entfernt von der Bibliothek
auf dieser Etage UND
leider ist der Aufzug durch mehrere schwere Türen vom Ziel, der Bibliothek
entfernt. | | Und
diese Türen lassen sich nur manuell öffnen. Aber nicht, wenn man im
Rollstuhl sitzt, weil man die Tür mit recht viel Kraft aufziehen und dann
mit Kraft weiter öffnen muß bevor man da durchkommt. Da
scheinen sich dann auch feuerpolizeiliche Vorschriften bezüglich der Brandschutztüren
einerseits und die Prinzipien der Barrierefreiheit in die Quere zu kommen. | | So
wie Schnee und Eis als natürliche Hindernisse fast unvermeidbar empfunden
werden, so hilflos steht man vor dem Problem, dass jemand mit Rolli einfach nicht
an alle Bücher in den Regalen kommt. Klar
sind meist Menschen in solchen Fällen hilfsbereit, wenn gerade mal wer in
der Nähe ist - aber das alles erschwert einfach den Alltag von Jenny. >>
Erfahrungsbericht
von Jenny Selbst
bei gutem Willen aller Beteiligten gäbe es schon genug Schwierigkeiten technischer
Art - die aber lösbar sind. Darüberhinaus traf Jenny jedoch auch auf
Frau K. im Sekretariat der Geschichtswissenschaften, die ganz und gar keinen guten
Willen zeigte: "Glauben Sie ja nicht, dass wir wegen Ihnen hier alles
umstellen" war die Antwort | | Hier
lacht Jenny zwar, aber die Sache ist eigentlich nicht lustig. Bei diesem kleinen
Hindernis wäre sie ohne Hilfe möglicherweise mit dem Rollstuhl umgekippt,
wenn sie ohne Hilfe von jemand, der den Rollstuhl festhält darüber gefahren
wäre. Solche
Kleinigkeiten liessen sich nun aber wirklich mit einem Keil als kleiner angelegten
Rampe einfach lösen. | | Merkwürdig
ist, dass das Hindernis eines nicht behindertengerechten Kopierers bereits vom
Beauftragten der Uni vor Monaten kritisiert worden war - aber nichts passiert
ist. Nun sitzt Jenny vor dem Kopierer und kriegt die Abdeckklappe nicht zu. | | Nach
dem Besuch der Bibliothek wird mal nachgefragt, wieso eigentlich der Aufzug direkt
neben der Bibliothek nicht zu benutzen sei. Die freundlichen Damen der Bibliotheksverwaltung
weisen darauf hin, dass der Schlüssel beim Hausmeister sei und dann müsse
man den erstmal auftreiben. |
Engagierte
Menschen innerhalb der Hochschule, insbesondere ihre Dozentin Annette Casasus
unterstützten Jennifer Stümpel um ihr trotz aller Probleme ein Studium zu
ermöglichen.
Aber auch darüberhinaus wird sie ermutigt sie,
diesen Zustand zum Gegenstand einer Diskussion über Barrierefreiheit zu machen.
| Jenny
hat sich dazu entschlossen, eine Petition an den Niedersächsischen Landtag zu
schicken. Die
Landtagsabgeordnete Dr. Gabriele Andretta (SPD) unterstützt diese Petitionseinbringung
im Landtag. Sie hatte auch zu einem Rundgang mit MedienvertreterInnen zu eingeladen
bei dem die Hindernisse im Alltag von Jenny deutlich gemacht werden sollten. Hier
im Eingangsbereich des Verfügungsgebäudes. |
Petition An
den Präsidenten des Niedersächsischen Landtages, Hermann Dinkla, An den Präsidenten
der Universität Herrn Prof. Dr. Figura, An den Vorsitzenden des Stiftungsrates
der Georg-August-Universität Göttingen, An den Behindertenbeauftragten des
Landes Niedersachsen Herrn Karl Finke, An die Landtagsabgeordneten Dr. Gabriele
Andretta, Stefan Wenzel, Lothar Koch, Patrick Humke- Focks PETITION
Sehr geehrter
Herr Dinkla, sehr geehrte Damen und Herren des Niedersächsischen Landtages, Ich
richte dieses Schreiben an Sie, da mich ein äußerst dringendes Anliegen beschäftigt.
Mein Name ist Jennifer Stümpel und ich studiere seit Oktober dieses Jahres an
der Georg-August-Universität Göttingen Geschichte und Romanische Philologie für
das Lehramt im ersten Fachsemester. Seit meiner Geburt leide ich an einer infantilen
Cerebralparese, bin daher zu 100% gehbehindert und kann nur wenige Meter ohne
Rollstuhl zurücklegen . Dieser Umstand hat mich allerdings nie daran gehindert,
mir Ziele zu setzen und auch dafür zu kämpfen. Bis heute bin ich meinen Weg mit
Erfolg gegangen, vom Abitur im Juni 2009 und zu einem Begabtenstipendium der Hans-Böckler-Stiftung.
Nach dem Abitur entschloss ich mich, ein Studium an der Georg-August-Universität
Göttingen aufzunehmen und meinen Traum, Lehrerin zu werden, zu verwirklichen.
Vor dem Hintergrund
meiner besonderen Situation suchte ich daher zu Beginn des Jahres gemeinsam mit
meinen Eltern die Studienberatung der Universität auf und schilderte dort mein
Vorhaben. Bei Betrachtung meiner gewählten Studienfächer teilte mir der Studienberater
mit, dass er bezüglich der Gebäude und Räumlichkeiten keine größeren Probleme
erkennen könne, da die Gebäude zum größten Teil mit elektrischen Türöffnern und
Fahrstühlen ausgestattet seien. Diese Auskunft des Beraters beruhigte sowohl mich
als auch meine Eltern zu diesem Zeitpunkt so sehr, sodass ich dem Studium sehr
optimistisch entgegensah. Als nun das Wintersemester 2009/2010 begann, sah
ich, dass die Universität alles andere als rollstuhlgerecht eingerichtet ist und
die Einschätzung des Studienberaters irreführend war. . Vielmehr sehe ich mich
mit vielerlei Schwierigkeiten konfrontiert, die mir den Studienalltag sehr erschweren.
Davon sind sämtliche von mir zu benutzende Gebäude betroffen, denn es gibt nahezu
überall Barrieren und Hindernisse, die Rollstuhlfahrer ein angemessenes Studium
unmöglich machen. Die Gebäudetüren sind bis auf seltene Ausnahmen nicht mit elektrischen
Türöffnern ausgestattet, in letzter Zeit war der Türöffner des Verfügungsgebäudes
nicht einmal funktionsfähig. Die Türen in den Fluren innerhalb der Gebäude sind
meist Feuerschutztüren, die sich nur schwer öffnen lassen und besonders für Menschen,
die gar nicht gehfähig sind, kaum zu öffnen sind: man muss den Rollstuhl verlassen,
die Tür gegen den Widerstand des automatischen Türschließers öffnen, offen halten,
um sich und seinen Rollstuhl hindurch zu bugsieren. Weitere Schwierigkeiten bereiten
die Fahrstuhltüren im Verfügungsgebäude. Auch das Zentrale Hörsaalgebäude, die
Humboldtallee 19 und der Heinrich-Düker-Weg stellen Gehbehinderte vor ähnliche
Probleme. Am Schlimmsten ist das Gebäude im Heinrich-Düker-Weg, denn der Fahrstuhl
ist nur über Umwege zu erreichen und man benötigt einen Schlüssel, den man als
Studentin bzw. Student nicht erhalten kann. Dort ist man also permanent auf Hilfe
angewiesen. Zudem kann man mit dem Fahrstuhl nicht in die oberste Etage gelangen,
sodass ich zu Semesterbeginn gezwungen war, mit meinem Rucksack auf dem Rücken
die Steintreppen hinauf zu steigen, um an der gewählten Veranstaltung teilzunehmen.
Dank des Engagements
meiner Dozentin war es möglich, das Gebäude und den Raum zu wechseln, andernfalls
wäre es mir aufgrund zu hoher körperlicher Belastung nicht möglich gewesen, weiterhin
an der Veranstaltung teilzunehmen. Ich kann natürlich nur für die Räumlichkeiten
und Gebäude meiner Studienfächer sprechen (Hörsäle und Veranstaltungsräume, Seminargebäude
samt ihrer Bibliotheken, SUB, Pädagogikm im Waldweg), bin aber nicht die einzige
Rollstuhlfahrerin an der Universität.. Ein besonders gravierendes Problem stellen
die Bibliotheken der Universität dar. Trotz des hohen Ansehens, dass die die Niedersächsischen
Staats-und Universitätsbibliothek (SUB) in Göttingen aufgrund ihres Buch- und
Medienbestandes genießt, kann man nicht von einer rollstuhlfreundlichen Benutzbarkeit
sprechen. Bereits mehrmals stand ich buchstäblich vor verschlossenen Türen: der
Behinderteneingang für Rollstuhlfahrer war während der Öffnungszeiten der SUB
abgeschlossen. Auch nach Rücksprache mit dem Hausmeister, der die Tür nach einem
ersten Vorfall für ein paar Wochen offen ließ, war sie am 19.12.wieder versperrt,
und ich musste bei 13° unter Null 35 Minuten vor der Tür ausharren, eh sie mir
geöffnet wurde. Die Leitung der SUB hat - von meiner Dozentin angesprochen - Besserung
gelobt. Zudem ist das Freihandmagazin der SUB für Rollstuhlfahrer aufgrund der
Enge nicht zu erreichen, und es gibt nur einen einzigen Kopierer, der auf die
Höhe sitzender Personen eingestellt ist. Eine selbstständige Nutzung der Universitätsbibliothek
ohne Hilfe ist also kaum möglich. Dabei muss es doch auch für behinderte Personen
möglich sein, sich im Studium eine gewisse Selbstständigkeit zu erhalten und nicht
permanent auf Hilfe angewiesen zu sein. Die Bibliotheken der Alten Geschichte
sowie der Romanischen Philologie in der Humboldtallee 19 sind überhaupt nicht
mit niedrigeren Kopierern ausgestattet. Ich möchte Sie nun inständig bitten, die
genannten Schwierigkeiten möglichst auszuräumen; ansonsten stehe ich meinem Studium
hoffnungslos gegenüber und weiß nicht, ob ich es unter diesen Bedingungen weiterführen
kann. Dies wäre besonders vor dem Hintergrund meines Stipendiums, für das ich
sehr dankbar bin, sehr schade. Aber auch die vom Bundestag ratifizierte und zum
Gesetz erhobene UNO-Konvention zum Schutz der Rechte von Behinderten dürfte Zustände
wie die von mir beklagten nicht mehr zulassen.
Ich bedanke mich bei Ihnen herzlich im Voraus, Mit freundlichen Grüßen, Jennifer
Stümpel |
Kontaktadressen
für Menschen mit Behinderung an der Uni Göttingen (Nach
Angaben
der Uni ) Vertrauensperson
für behinderte Wissenschaftler und Studierende: "Sowohl die Universität
als auch das Universitätsklinikum haben eine Vertrauensperson für Schwerbehinderte
benannt, die sich um die Belange körperbehinderter Angestellter kümmert
und Ansprechpartner für Angestellte ist, die einen speziell auf sie abgestimmten
Arbeitsplatz benötigen." -
Vertrauensperson für Schwerbehinderte an der Universität Dr. Jochen
Krohn Tel. 0551/39-2725 Vertrauensmann.Schwerbehinderte @zvw.uni-goettingen.de
. - Vertrauensperson für Schwerbehinderte am Universitätsklinikum:
Gabriele Brückner Tel. 0551/39-6099 brueckner@med.uni-goettingen.de "Der
Sozialdienst des Studentenwerks berät und hilft Studierenden mit Behinderungen
oder chronischen Erkrankungen. Behinderte Studierende haben die Möglichkeit,
eine Person ihrer Wahl als Studienhelfer zu benennen. Der Studienhelfer steht
den Betroffen während des Studiums zur Seite. (zum Beispiel Mitschreiben
während der Veranstaltungen, Lesen und Bearbeiten von Texten). In der Regel
übernimmt das Sozialamt Göttingen die Kosten dafür. Überdies
verfügt das Studentenwerk (in limitierter Zahl) über behindertengerechte
Wohnungen." Kontkat: Christian Staier Tel. 0551/39-5120 Sozialdienst@studentenwerk-goettingen.de Informationen
zu barrierefreien Gebäuden: - an der Universität: Bernd Ludwig Tel.
0551/39-4111 Das Land Niedersachsen hat als
letztes Bundesland das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) auf ein Landesgesetz
übertragen. Das Niedersächsische Behindertengleichstellungsgesetz NBGG ist
seit 1. Januar 2008 in Kraft. |